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BERICHT/223: Humanisten diskutierten Perspektiven (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 93/2010 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Humanisten diskutierten Perspektiven

Von Arik Platzek


Bund - Mitte September trafen sich Vertreter des Humanistischen Verbandes Deutschland aus dem gesamten Bundesgebiet in Berlin, um Ideen und Perspektiven für die gemeinsame Zukunft zu entwickeln. Im Fokus stand die Verbandslage im Jahr 2020.


Insgesamt trafen sich 19 Vertreter aus fast allen Landesverbänden des HVD zur Veranstaltung am 10. und 11. September, um in Zusammenarbeit ihre Analysen von aktuellen Problemlagen und zukünftigen Herausforderungen darzulegen. Zugleich sollten Vorschläge und Perspektiven für die zukünftige Arbeit des Bundesverbandes und der Zusammenarbeit der Landesverbände entwickelt werden. "Wir brauchen eine vielfältige, reichhaltige Debatte und die Umsetzung in praktischen Humanismus", sagte dazu Frieder Otto Wolf, amtierender Präsident des Bundesverbandes. Wolf sieht sich als Moderator der gegenwärtigen Lage, die von starken Unterschieden im Entwicklungsstand der jeweiligen Landesverbände und zugleich begrenzten Mitteln geprägt ist. Wichtig für die Zukunft sei zukünftig vor allem ein nachhaltiges Wachstum, so Wolf.


Stellungnahme in politischen Debatten

Im Mittelpunkt des Austauschs stand nach einem ersten Gespräch etwa ein Dutzend unterschiedlichster Themenfelder. Der weitere Dialog über die Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen des Bundesverbandes, die notwendige Weiterentwicklung des gemeinsamen Selbstverständnisses als Weltanschauungs- und Dienstleistungsverband oder auch die Integration des Nachwuchses und der Zielgruppenarbeit für Heranwachsende wurden intensiv diskutiert. Die Öffentlichkeitsarbeit war für viele Anwesende ebenfalls ein wichtiges Thema. Auch die Frage nach Möglichkeiten zur besseren Ausschöpfung des gemeinsamen Potenzials wurde gestellt. Vielfach, so eine Beobachtung, gibt es ähnliche Probleme im Wachstum und der Verankerung von säkularen Gemeinschaften. Diese und weitere Herausforderungen könnten gemeinsam gelöst werden.

Im Zuge der Gespräche wurde klar, dass Wortmeldungen in der Öffentlichkeit zukünftig häufiger erfolgen müssen. Dabei wurde auch darüber diskutiert, dass neben dem Verband weitere lebhafte humanistische und säkulare Gemeinschaften vorhanden sind, die ähnliche oder gleiche Zielsetzungen im Einsatz für die Interessen nichtreligiöser Menschen verfolgen. Breite Übereinstimmung gab es darin, diese Gemeinschaften als Partner wahrzunehmen. Als eine Stimme des organisierten, praktischen Humanismus in Deutschland soll der HVD dabei in den kommenden Jahren vermehrt gehört werden. Auch in politischen Debatten müsste häufiger Stellung bezogen werden. Hier sei die Präsenz häufig zu zurückhaltend. Wolf wies dabei erneut auf die beschränkten Kapazitäten der Präsidiumsmitglieder hin. Ein Schweigen in der gesellschaftlichen Debatte darf aber nicht in Frage kommen, so der abschließende Konsens. Eine Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes, so das Plädoyer der Anwesenden, wäre hier ein wichtiger Baustein, um Interessen deutlich zu machen und für sie in der Öffentlichkeit einzutreten.


Einsatz für die säkulare Gesellschaft

Festgestellt wurde auch, dass der innerverbandlichen Koordination und Kommunikation mehr Aufmerksamkeit zukommen muss, um die vorhandenen Chancen auf einen Einsatz für die säkulare Gesellschaft wahrzunehmen. Die kreativen und professionellen Potenziale unter den Mitgliedern seien zwar vielfach vorhanden, müssten jedoch effektiver genutzt werden. Eine Zusammenarbeit und ein reger Austausch über Ländergrenzen hinweg könnten hier in den kommenden Jahren für die Wahrnehmung der Chancen eine notwendige Grundlage bilden. Dabei komme es auch auf die aktive Mithilfe jedes Einzelnen an.

Ein weiterer Fokus müsse dabei auf der Integration des Nachwuchses liegen. Frieder Otto Wolf erklärte hier, mit der in den letzten Jahren fortgeschrittenen Einbindung der Jugendorganisation des HVD, den Jungen HumanistInnen, zufrieden zu sein. Dem stimmte der Bundesvorsitzende der Jungen HumanistInnen, Florian Noack, zu. In Zukunft müssten aber weitere Angebote umgesetzt werden, um Jugendliche für ein aktives Engagement zu begeistern und sie in die gemeinsame Arbeit mit einzubinden. Ein Mentoring für die Fähigkeiten zur tragfähigen Umsetzung eigener Projekte bietet in seinen Augen die Chance auf nachhaltiges Engagement humanistischer und säkularer Interessenvertretungen. Auch die Vernetzung sowohl auf verbandseigener wie medialer Ebene spiele hier wieder eine wichtige Rolle, machte er deutlich.

Ein weiterer Konsens bestand auch darin, dass die Präsenz praktisch tätiger Gemeinschaften in allen Bundesländern ein wichtiges Ziel der gemeinsamen Bemühungen darstellt. Der Bundesverband müsse dabei in Zukunft stärker eine Schnittstelle für den erforderlichen Wissenstransfer bilden. Die weitere Entwicklung von Angeboten einer weltanschaulich begründeten Lebenskultur sei ebenso wichtig, wie deren attraktive Darstellung und Bekanntmachung in der Öffentlichkeit.


Bedarf an säkularen Alternativen

Offenkundig ist, dass die Nachfrage nach säkularen Angeboten zur Lebensgestaltung in vielen Bereichen der Gesellschaft vorhanden ist. Schließlich sind schon jetzt rund 34 Prozent der deutschen Bevölkerung konfessionsfrei. Viele der Menschen wollen aber trotzdem nicht auf säkulare Alternativen zu den traditionellen Formen gemeinschaftlicher Lebens- und Erlebniskultur verzichten, um das eigene Leben zu gestalten. In anderen europäischen Ländern, etwa Großbritannien, ist dabei eine erstaunliche Entwicklung festzustellen. In Schottland, so etwa die Prognose der Humanist Society of Scotland, wird die Zahl humanistischer Hochzeiten die Zahl katholischer Eheschließungen in diesem Jahr übertreffen. Auch Namens- oder Gedenkfeiern erfreuen sich einer großen Nachfrage. Das ist auch in Deutschland nicht anders, wie sich am Erfolg einiger Landesverbände gezeigt hat. Daran müsse weiter angeknüpft werden, wurde auf dem Treffen festgestellt.

Die zuvor genannten Angebote sind aber nur wenige der zahllosen Möglichkeiten, die für eine weltliche Lebenskultur bestehen. Solch einer Nachfrage seitens säkularer Menschen in Zukunft auch ausreichend entgegen kommen zu können, war für alle Anwesenden ein zentrales Anliegen. Klar ist, dass es dabei stets auf die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Konzepte ankomme. Man dürfe die vorhandenen Möglichkeiten bei der Planung von Projekten nicht überschätzen, aber mit einer realistischen Perspektive könne gemeinsam viel erreicht werden.

Ein unverzichtbares Kernelement dieser Entwicklung wäre aber auch, so die geteilte Überzeugung, der fortgesetzte konstruktive Dialog der Mitglieder über das gemeinsame Selbstverständnis. Über die Koordination seitens des Bundesverbandes wie auch mittels der Landesvorstände sollten dabei kompetente Ansprechpartner für die Anliegen und das Informationsbedürfnis der Mitglieder zu den verschiedensten Fragen verankert werden. Weder der intellektuelle Diskurs noch die transparente Debatte können dabei in Zukunft vernachlässigt werden, um humanistische Alternativen für die vorhandenen Wünsche und Bedürfnisse der immer säkulareren Gesellschaft zu entwickeln.


Neues Bundespräsidium

Neuigkeiten ergaben sich aber auch mit Blick auf kurzfristige Entwicklungen. So erklärte der jetzige Berliner HVD-Landesvorsitzende Dr. Bruno Osuch, eventuell im Frühjahr 2011 für das Präsidium des Bundesverbandes als Vorsitzender zu kandidieren. Für eine Kandidatur sei er bereit, "wenn einige wichtige Rahmenbedingungen geklärt sind." Er würde damit dem langjährigen Vorsitzenden Dr. Horst Groschopp nachfolgen. Der amtierende Präsident des Bundesverbandes Prof. Frieder Otto Wolf meinte, sich erneut als Vize zur Wahl stellen zu wollen.

Beobachten ließ sich schließlich, dass in der von Vertrauen und Offenheit geprägten Atmosphäre viele berechtigte Sorgen angesprochen und aktuelle Problemstellungen konstruktiv thematisiert werden konnten. Die Befunde des kurzen Treffens, welche über die hier genannten Punkte hinausgehen, sollen nun künftig eine Grundlage für die weiteren Entscheidungen in den Verbandsgremien auf Landes- und Bundesebene bilden. Zudem wurde deutlich, dass sich die Anwesenden vom Sinn fortgesetzter Dialoge über die Zukunft des Verbandes einig waren, damit auf künftige Veränderungen reagiert und Perspektiven unter Einbeziehung vieler Meinungen gemeinsam überarbeitet werden können.


Arik Platzeck ist Student, Redakteur bei wissenrockt.de und HVD-Mitglied in Greifswald.


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Quelle:
diesseits 4. Quartal, Nr. 93/2010, S. 24-25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2011