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GESELLSCHAFT/026: Bedingungsloses Grundeinkommen für alle! (diesseits)


diesseits 1. Quartal, Nr. 86/2009 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Bedingungsloses Grundeinkommen für alle!
Ein Diskussionsbeitrag

Von Ulla Ringe


Die Lebensauffassung des weltlichen Humanismus und daraus resultierende Grundsätze wie Würde, Selbstbestimmung und Gleichberechtigung führen unter anderem zu der Forderung nach Humanisierung der Arbeitswelt. Ein garantiertes Grundeinkommen könnte die Lebensgrundlage aller Menschen sichern.


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Die momentane Arbeitsgesellschaft ist alles andere als human, es geht den Wenigsten gut: Individuelle Existenzangst als typisches Kennzeichen der Neuzeit, Armut oder Angst vor Armut, Überforderung, Druck, Konkurrenz betreffen alle. Krankheiten, Missgunst, Eifersucht, gegenseitige Kontrolle und unsoziales Verhalten sind die bekannten Folgen. Der Stärkere gewinnt, das wird vorgelebt und in der Gesellschaft weitergegeben.

Die Menschheit hat erreicht, dass Maschinen einen Großteil menschlicher Arbeitskraft ersetzt haben, dennoch wird Vollbeschäftigung als erstrebenswerte Lösung, als Allheilmittel, angepriesen und politisch verteidigt.

Schon vor der Erfindung der Dampfmaschine hatte menschliches Bestreben immer zum Ziel, das Leben zu erleichtern, Arbeit zu verringern und Zeit zu gewinnen. Das ist gelungen! Aber statt im Wohlstand mit weniger Arbeit zu leben, mehr Freizeit zu genießen, wird der Wert des Menschen in betriebswirtschaftlicher Größe gemessen, Erwerbsarbeit dient als Quelle zur Bewertung eines Menschen. Lohnarbeit bedeutet gesellschaftliche Stellung, Ansehen, Selbstbewusstsein und -verständnis und gibt dem Leben Sinn.

Mit der Industriegesellschaft wurde Lohnarbeit heilig und gottgefällig. Diese Wurzeln sitzen tief und die Notwendigkeit der Erwerbsarbeit scheint unbestritten. Von klein auf wird der Mensch auf Lohnarbeit fokussiert, Bildung und Schule haben das Ziel, Kinder auf die Erwerbstätigkeit vorzubereiten. Durch diese psychologische "Zurichtung" zur Arbeit sind Menschen ausbeutbar und bereit, für Billiglöhne zu arbeiten. Schlechte Bedingungen werden aus Angst vor dem Verlust der Würde und vor Armut in Kauf genommen und verteidigt

Ängste lassen keinen Platz für Visionen vom guten Leben.


Wie kann gutes Leben aussehen?

Ein Umdenken ist erforderlich, um den Fokus von Lohnarbeit auf eine neu zu definierende Arbeit zu lenken. Gerade jetzt, in Zeiten der Rezession, sollten scheinbar unrealistische Phantasien zugelassen werden. Wo wollen wir hin? Wie soll gesellschaftlich notwendige Arbeit organisiert werden? Brauchen wir eine radikale Entschleunigung in allen gesellschaftlichen Bereichen? Die wirtschaftsorientierte Globalisierung hat keinen Platz für Gerechtigkeit, Umweltschutz und neue Ideen. Die Unterstützung der Autoindustrie und der Vorschlag, Autobahnen zu bauen als Antwort auf die Wirtschaftskrise, sprechen für sich.

Jetzt wäre die Zeit, ganz neu zu denken. Je sicherer und angstfreier Menschen leben können, je größer der Wohlstand für alle, desto sozialer, toleranter und hilfsbereiter kann die Gesellschaft sein.

Es ist ein großartiger Fortschritt, keine stumpfsinnige Arbeit mehr am Fließband verrichten zu müssen, nicht mehr in dreckigen, lauten Fabriken zu schuften.

Es kann alles hergestellt werden an materiellen Gütern, was Menschen brauchen. Es gab noch niemals so viel Reichtum auf der Welt. Das Ausmaß produzierter Nahrungsmittel könnte einige Milliarden Menschen ernähren, wenn auch oft genug auf sehr fragwürdige und Umwelt schädigende Art und Weise.

Aus sozialen, ethischen und humanistischen Gründen ist es absolut unabdingbar, dass dieser heute vorhandene wirtschaftliche Gesamtreichtum zu einer globalen, qualitativ veränderten Wohlstandspolitik für alle Menschen genutzt wird.

Es könnte so einfach sein. Man streicht Arbeitslosengeld, gesetzliche Rentenversicherung, bestehende Sozialleistungen und garantierte Mindestlöhne, Kindergeld, Steuererleichterungen und -pauschalen für häusliche Pflegeleistungen, Stipendien, Beschäftigungsanreize, staatliche Subventionen für marode Unternehmen und schafft nebenher sämtliche Auszahlungs-, Beantragungs- und Kontrollinstitutionen ab und gäbe jedem Bürger jeden Monat einen festen Betrag zur Deckung seiner Grundbedürfnisse, egal ob er nun arbeitet oder nicht, arm ist oder reich, alleine lebt oder Familie hat, ob er früher gearbeitet hat oder nicht.

Bei einem Grundeinkommen von, sagen wir, 1000 Euro pro Kopf, könnte Mensch entweder zu Hause bleiben, sich langweilen und schlimmstenfalls das Geld versaufen oder aber bescheiden leben, sich um Haushalt, Garten und Kinder sorgen, seinen Hobbys nachgehen, ein Ehrenamt ausüben, usw. usf. Oder: Mensch geht zehn bis 20 Stunden wöchentlich einer Lohnarbeit nach, hat also noch Zeit für oben genannte Tätigkeiten und muss nicht ganz so bescheiden leben, d. h. das Grundeinkommen wird aufgestockt. Oder er/sie arbeitet Vollzeit und hat verhältnismäßig viel Geld. Außerdem besteht die Möglichkeit, innerhalb dieser verschiedenen Varianten je nach Lebenssituation zu wechseln.

Für alle Menschen aber gibt es mit dem Grundeinkommen eine Sicherheit, die die Existenzangst, die Angst vor Arbeitsplatzverlust überflüssig macht und ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Engagement ermöglicht.

Grundeinkommen: bedingungslos, für alle gleich

Das Grundeinkommen muss im Sinne der Sicherung einer gesellschaftlichen Teilhabe existenzsichernd sein, einen individuellen Rechtsanspruch darstellen und bedingungslos, ohne jegliche Verpflichtung, an alle Menschen einer Gesellschaft ausbezahlt werden, auch an Millionäre. Es ist keine Sozialleistung, sondern Menschenrecht und besitzt den gleichen Stellenwert wie der freie Zugang zur sozialen, kulturellen und politischen Infrastruktur. Das Grundeinkommen ist keine Belohnung. Es schafft für alle Menschen die ökonomische Basis, sich eigenverantwortlich und selbstbestimmt in seine soziale Umwelt einzubringen, an der Gesellschaft teilzuhaben - in welcher Form und in welchem Bereich auch immer.

Bislang unbezahlte Tätigkeiten werden finanziell abgesichert. Die unentgeltlich verrichtete Arbeit, wie Pflege von Angehörigen, Erziehung, Hausaufgabenbetreuung, Haushaltsführung usw. erhält die angemessene Anerkennung und notwendige Zeit.

Unternehmen gewinnen motivierte Mitarbeiter mit mehr Risikobereitschaft. Das bedingungslose Grundeinkommen stabilisiert die Kaufkraft und kann somit Konjunkturkrisen abfedern.

Der Mensch wird nicht mehr über seine Erwerbsarbeit bewertet und geachtet, sondern seiner selbst willen. Die würdelose Abqualifizierung von Arbeitslosen und Hartz IV-Empfängern hätte ein Ende. Die heute oftmals undurchschaubaren Leistungsvoraussetzungen, die auch dazu führen, dass Menschen aus Scham oder Unwissenheit keine Leistungen beantragen, würden abgeschafft.

Für Frauen bringt ein Grundeinkommen die Möglichkeit, aus ungerechten Lebenssituationen auszusteigen. Da Frauen in der Regel niedrigere Löhne erhalten als Männer, häufiger als Männer in Reproduktionsarbeit tätig sind und Alleinerziehende oftmals keinen Kindesunterhalt bekommen, würde ein Grundeinkommen die Geschlechterungleichheit entschärfen.

Nicht zuletzt würde vielleicht der sich immer schneller drehenden Spirale von "höher, schneller, weiter, besser" Einhalt geboten und so auch notwendige Veränderungen für z. B. Umwelt und Klima die erforderliche Beachtung finden.


Kritik und Zweifel am Grundeinkommen

Gegen das Grundeinkommen spricht die damit verbundene Kapitulation vor der Arbeitslosigkeit. Arbeit würde mit einem Grundeinkommen generell entwertet werden, laut IG Metall eine "Stilllegungsprämie", um Menschen aus dem Arbeitsprozess zu befördern. Man kann es Kapitulation nennen, aber auch Erfolg: Es ist nicht mehr erforderlich, dass alle Menschen den größten Teil ihrer Lebenszeit mit Erwerbstätigkeit verbringen.

Inakzeptable Arbeitsbedingungen können mit der Sicherheit eines Grundeinkommens abgelehnt werden. Die Menschen entscheiden selber, welche Arbeit für sie zumutbar ist und stellen damit höhere Ansprüche an die eigene Arbeit und an das Leben. Arbeiten, die wichtig, aber unbeliebt sind, müssen durch bessere Bezahlung attraktiv gemacht werden.

Die größte Angst scheint aber die vor der Faulheit der Menschen zu sein. Das dürfte wohl unbegründet sein. Einige werden sich immer ein wenig mehr leisten wollen, andererseits arbeiten auch heute schon viele Menschen ehrenamtlich und unentgeltlich. Das Bedürfnis, eine sinnstiftende Aufgabe zu haben, ist vorhanden.


Höhe des Grundeinkommens und Finanzierbarkeit

Über die Höhe des Grundeinkommens gibt es verschiedene Vorstellungen, wichtig ist dass neben der Existenzsicherung auch die Teilnahme am sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben gewährleistet ist.

Auch die Modelle zur Finanzierung variieren: Neben den Einsparungen der jetzt gewährten Sozialleistungen und dem Abbau des riesigen bürokratischen Apparates bis hin zu unterschiedlichen Steuermodellen. Fakt ist, dass die Finanzierung mit vorhandenen Mitteln realisierbar ist.

Das Grundeinkommen ist eine Idee, eine Vision für eine veränderte, bessere und gerechtere Gesellschaft und schafft eine Vorstellung vom guten Leben.

Solange davon ausgegangen wird, dass nur Erwerbstätige Anspruch auf Wohlstand und Leistung haben, nur ehrliche Arbeit zu ehrlichem Geld führt, kann diese Idee nicht wirklich umgesetzt werden. Ein von "oben" auferlegtes Grundeinkommen würde tatsächlich zu einer Zementierung von Arbeitslosigkeit führen. Die Vorstellung, ein Anrecht am Reichtum der Welt zu haben ohne erwerbstätig zu sein, ist eine neue und ungewohnte Vorstellung. Der Gedanke, dass es für immer weniger Menschen Lohnarbeit gibt, muss zugelassen werden und zu positiven Konsequenzen führen.

Die Idee vom Grundeinkommen und somit der Teilhabe aller Menschen am vorhandenen Reichtum schafft eine neue Weltsicht und verändert die Wahrnehmung weg vom Mangel hin zur Fülle. Diese Idee muss verbreitet werden, denn: "Eine Idee wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift" (Karl Marx).


Ulla Ringe ist Lebenskundelehrerin in Berlin. Die Autorin freut sich über Interessierte, die mit ihr in einem lockeren Kreis in einen regen Gedankenaustausch zu diesem Thema treten.


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Quelle:
diesseits 1. Quartal, Nr. 86 1/2009, S. 18-19
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
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Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2009