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GESELLSCHAFT/032: Atheismus und Religionskritik (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 92/2010 -
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Atheismus und Religionskritik
Im Spannungsfeld von Demokratie und Extremismus

Von Armin Pfahl-Traughber


Ist Atheismus gleichzusetzen mit Demokratie? Leider nein. Atheismus steht als negativer Begriff für eine Ablehnung von Religion. Dennoch kann er mit unterschiedlichen Inhalten moralischen, politischen oder sozialen Selbstverständnisses als positiver Identität verbunden sein.


Ein demokratischer Verfassungsstaat fragt bei atheistischen wie religiösen Auffassungen, ob bei ihnen im Konfliktfall ein Vorrang zugunsten von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit besteht. Historisch waren jedoch Atheismus ebenso wie die Religionen sowohl mit einer demokratischen wie mit einer diktatorischen Ausrichtung kompatibel.

Im öffentlichen Diskurs wird "Atheismus" allgemein negativ und "Religion" meist positiv bewertet, sieht man doch im Glauben die oder eine Quelle der Moral und unterstellt dem Unglauben eine Identität mit den totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts. Das verkennt, dass Atheisten sehr wohl auch über eine - allerdings säkular begründete - Moral verfügen und die Bezeichnung für eine Auffassung ohne Werte nicht "Atheismus", sondern "Nihilismus" lautet.

Während der Nationalsozialismus aufgrund von "Hitlers Gott" und "Hitlers Theologie" nicht als atheistisch gelten kann, verstanden sich die Diktaturen des "real existierenden Sozialismus" sehr wohl als dezidiert atheistisch ausgerichtet. Daher bedarf es einer differenzierten Betrachtung des Atheismus allgemein, seiner unterschiedlichen Erscheinungsformen ebenso wie seines Verhältnisses zu Demokratie und Extremismus in Auffassungen und Handlungen.


Begriffsklärung

"Theismus" steht für den Glauben an einen Schöpfergott, demnach wäre "A-theismus" als Verneinung dieser Position eine Ablehnung dieses Glaubens, ohne damit aber notwendigerweise eine Aussage zur Existenz Gottes zu verbinden. Allgemein gehen Atheisten davon aus, dass das Bestehen eines solchen Wesens empirisch nicht belegbar (Niemand hat Gott gesehen!) und rational nicht beweisbar ist (Scheitern von Gottesbeweisen durch Fehlschlüsse und Widersprüche).

Im Atheismus können zwei Varianten unterschieden werden: zum einen der positive oder starke Atheismus, der die Existenz Gottes dezidiert bestreitet, zum anderen der negative oder schwache Atheismus, der an einen Gott nicht glauben will.

Mitunter bezeichnet man auch Auffassungen im letztgenannten Sinne als "Agnostizismus", womit eine Position gemeint ist, welche zur Gottesexistenz eine unentschlossene Position hat und diese daher unbeantwortet lässt.

Entgegen einem alltagssprachlichen Verständnis haben Atheismus und Heidentum nichts miteinander zu tun, steht doch der letztgenannte Begriff für den Glauben an viele Götter wie etwa bei den Germanen, Griechen oder Römern.

Religionskritik meint eine grundlegende Kritik am Glauben, die allerdings nicht zwingend atheistisch motiviert sein muss, können doch kritische Positionen auch aus agnostischer, deistischer, pantheistischer oder theistischer Position formuliert werden. Atheismus definiert sich inhaltlich negativ im Sinne eines Nicht-Glaubens an Gott, ohne positiv die eigene Gegenposition im moralischen, philosophischen, politischen oder sozialen Sinne zu benennen. Entsprechend verstanden sich sowohl humanistische Denker (z.B. Russell) wie auch totalitäre Diktatoren (z.B. Stalin) als Atheisten, was mitunter Atheisten, die sich vom Totalitarismusvorwurf abgrenzen möchten, zur Verwendung der Formulierung "säkulare Humanisten" als Selbstbezeichnung motivierte.


Atheismus in seiner Vielfalt

Im Laufe der Zeit - erste Ansätze ließen sich bereits in der Antike ausmachen - entstanden die unterschiedlichsten Begründungsformen für den - inhaltlich daher auch nicht einheitlich ausgerichteten - Atheismus. Schon in der Frühgeschichte der Menschheit bestand ein unreflektierter Atheismus, bildeten sich doch religiöse Glaubensformen erst im Rahmen des evolutionären Entwicklungsprozesses von Homo sapiens heraus, welche ohne Anspruch auf Vollständigkeit wie folgt unterschieden werden können:

1. Der aufklärerische Atheismus wirft Religion vor, in erster Linie als eine Form von Betrug zur Disziplinierung der einfachen Menschen zur Aufrechterhaltung der Gesellschaftsordnung von Thron und Altar zu dienen (z.B. Bayle).

2. Der anthropologische Atheismus geht davon aus, dass der Mensch selbst Gott durch eigene Einbildungskraft geschaffen habe, indem er seine Moralvorstellungen 3/2010 23 und Wünsche auf ein höheres Wesen projizierte (z.B. Feuerbach).

3. Der materialistische Atheismus sieht in der Religion eine Ausdrucksform illusionären Denkens, welche die Menschen über ihr reales Elend hinwegtrösten würde, ohne dass sie die eigentlichen gesellschaftlichen Ursachen überwinden müssen (z.B. Marx).

4. Der evolutionäre Atheismus lehnt die Theorie ab, dass ein Gott das Leben und die Welt geschaffen habe und sieht Menschen, Pflanzen und Tiere als Ergebnis von evolutionären Anpassungsprozessen (z.B. Darwin).

5. Der psychologische Atheismus geht davon aus, dass Religionen als Illusionen aus dem Bedürfnis der Menschen nach Erfüllung von Wünschen insbesondere zur Tröstung über die Widrigkeiten der Existenz entstanden (z.B. Freud).


Atheismus in der politischen Gesellschaft

Da politische Herrschaft seit dem Bestehen der Urgesellschaft immer wieder mit Gottesglaube und Religion legitimiert wurde, kam es gegenüber Ausdrucksformen des Atheismus und der Religionskritik häufig zu Diskriminierung und Verfolgung (z.B. Sokrates). Selbst die im Rahmen der Aufklärung entwickelten Vertragsmodelle, die auf Grundrechte für alle Bürger und somit auch auf Religionsfreiheit abstellten, schlossen den Atheismus aus dem Toleranzgebot aus (z.B. Locke). Atheismus in bewusster Form war meist die Angelegenheit von Minderheiten vor allem im intellektuellen Bereich, er fand in Legitimationskrisen der Kirche in unbewusster Form aber mitunter auch Akzeptanz bei den Massen (z.B. Mittelalter). Insbesondere die französischen Repräsentanten der Aufklärung lehnten die Kirche und die Religion zur Rechtfertigung eines freiheitsfeindlichen Denkens ab.

Dies erklärt auch, warum während der Französischen Revolution mitunter gegen die Institution Kirche vorgegangen wurde, diente sie doch der Legitimation einer monarchistischen Gesellschaftsordnung. Aus ähnlichen Gründen fanden dann auch in der Arbeiterbewegung atheistische Positionen im marxistischen Sinne Anerkennung, wofür die Existenz von Freidenker-Organisationen im Umfeld der sozialistischen Parteien spricht. Im "real existierenden Sozialismus" gingen die sich atheistisch verstehenden Staatsparteien mitunter repressiv gegen Gläubige und Kirchen vor, duldeten sie aber meist aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung (Ausnahme: Albanien).


Demokratieverträglichkeit

Bei aller Rigorosität in der argumentativen Ablehnung der Religion durch Atheisten treten diese meist nicht für die Etablierung eines "atheistischen Staates", sondern für die konsequente Trennung von Religion und Staat im Sinne des Laizismus oder der Säkularität ein. Demnach will man den Gläubigen nicht das Recht zur Religionsausübung absprechen, aber eine Aufhebung der einseitigen Bevorzugung der Kirchen durch den Staat (Fakultäten, Kirchensteuer, Schulunterricht) zugunsten einer Neutralität bewirken. Da bezüglich des Säkularitätsgebotes für den Staat eine nur "hinkende Trennung" in der Bundesrepublik Deutschland besteht, würden damit verbundene Konsequenzen lediglich zur Anpassung an die Zustände in anderen liberalen Demokratien führen (z.B. Frankreich, USA). Mitunter neigen atheistische Autoren dazu, in ihrer polemischen Agitation gegen Religionen Grenzen der Seriosität durch pauschalisierende Verallgemeinerungen zu überschreiten (z.B. Dawkins, "Gotteswahn" oder Hitchens, "Gift").

Internationale und nationale Studien belegen, dass die Neigung zu Vorurteilen gegenüber Minderheiten bei Gläubigen allgemein - aber aufgrund des Überlegenheitsanspruchs vor allem bei stark Gläubigen - höher als bei Konfessionslosen ausgeprägt ist. Historisch betrachtet kann daran erinnert werden, dass normative Grundlagen des demokratischen Verfassungsstaates wie die Menschenrechte nicht durch die Kirchen, sondern gegen die Kirchen erstritten werden mussten. Eine Gefahr für die Demokratie durch den Atheismus wird mitunter dann gesehen, wenn durch Säkularität die Akzeptanz jener auch religiös begründeten gesellschaftlichen Werte schwindet, welcher ein liberaler Staat zu seiner Rechtfertigung nicht selbst begründen könne (z.B. Moral, Nächstenliebe). Derartige Normen und Prinzipien können aber sehr wohl auch im Sinne eines weltlichen Humanismus begründet werden.


Dieser Text entstand als Thesenpapier im Rahmen des Seminars "Glaube und Extremismus in den Weltreligionen" an der Fachhochschule des Bundes


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Quelle:
diesseits 3. Quartal, Nr. 92 3/2010, S. 22-23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. November 2010