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GESELLSCHAFT/033: Verhältnis von Staat und Kirche in einer säkularen Gesellschaft (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 93/2010 -
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Das müssen Sie aushalten können!

Von Elke Thut


Auf Einladung der Humanisten Württemberg war der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, zu Gast im Humanistischen Zentrum Stuttgart und referierte über "Das Verhältnis von Staat und Kirche in einer säkularen Gesellschaft".


Den Abend einleitend, bedankte sich der Geschäftsführer der Humanisten Württemberg, Andreas Henschel, zunächst bei Winfried Kretschmann, dass er trotz der landespolitischen Ausnahmesituation, die dem Konflikt um Stuttgart 21 geschuldet ist, den Vortragstermin nicht einfach abgesagt habe. Die erklärte Absicht Kretschmanns in diesem Konflikt sei es, "dass aus Gegnern keine Feinde werden und ein Dialogprozess in Gang komme".

Letzteres wünschte sich Andreas Henschel auch für den Verlauf des Abends im Humanistischen Zentrum, denn die Standpunkte, die Kretschmann bezüglich des Verhältnisses von Staat und Kirche vertrete, seien bei dem bekennenden Katholik und hochrangigen Vertreter seiner Kirche, eher konträr zu dem, was die freidenkerisch-humanistischen Verbände traditionell als eine ihrer wichtigsten und bis heute nicht verwirklichten gesellschaftspolitischen Forderungen ansehen.


Neue Vertragswerke zementieren den Zustand

So komme die Politik der eigentlich verfassungsrechtlich geforderten Ablösung der Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften bis heute nicht nach. Vielmehr wurde in Baden-Württemberg mit der Begründung neuer Vertragswerke das komplette Gegenteil gemacht und die Privilegien der großen Kirchen sowie der Israelitischen Religionsgemeinschaften sogar jüngst noch ausgebaut und damit die Ungleichheit zwischen den Religionen und säkularen Weltanschauungsgemeinschaften verschärft.

Besonders anschaulich werde dies am Staatsvertrag mit den Israelitischen Religionsgemeinschaften. Hier wurde neben pauschalen Leistungen des Landes in Millionenhöhe zusätzlich pro Mitglied und Jahr eine Zahlung von 750 Euro, jährlich dynamisiert um 1,5 Prozent, vereinbart. Auf die Forderung der Humanisten Württemberg nach Gleichbehandlung hat das Land überhaupt erst nach wiederholten Anfragen mit einer brüsken Ablehnung reagiert. Dies vor dem Hintergrund, dass der als Körperschaft des öffentlichen Rechts formal den Religionsgemeinschaften gleichgestellte Humanistische Verband als pauschale Leistung im Jahr pro Mitglied in der Summe lediglich 37,50 Euro erhält.

Andreas Henschel schloss mit den Worten: "Werter Herr Kretschmann, ich bin gespannt, wie Sie uns unter diesen offensichtlich verfassungswidrigen Umständen ihre Ansichten vom Verhältnis Staat Kirche in einer säkularen Gesellschaft erklären wollen. Auch wenn ich abschließend durchaus einräume, dass Sie in der Landtagsdebatte über die Kirchenverträge immerhin als einziger darauf hingewiesen haben, dass bei allem, was an Wohltaten für die Kirchen beschlossen werde, man daran denken müsse, dass diese auch von dem über einem Drittel der konfessionsfreien Bevölkerung im Lande mitbezahlt werden müssen. Ein berechtigter und nachdenklicher Einwand für den Sie allerdings schärfste Kritik, Pfiffe und Buhrufe von Seiten der CDU-Mehrheitsfraktion einstecken mussten."


Aufgabe der Politik ist es, Freiheit zu garantieren.

Winfried Kretschmann betonte zunächst, dass es Sinn und Aufgabe der Politik sei, Freiheit zu garantieren und die Grundlage dafür ist, sich der Pluralität der Menschen bewusst zu sein. Der Staat müsse sich zurückhalten, den Einzelnen regulieren zu wollen, vielmehr müsse er die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantieren, wobei staatlicherseits der Wunsch jedes einzelnen gleich zu gelten habe.

Sehr wohl aber dürfe und müsse der Staat sogar "Sinn" stiftende Gemeinschaften fördern, sie sozusagen mit der staatlichen Förderung ermutigen, sich für die Verwirklichung von Gemeinschaft einzusetzen. Aus dieser Perspektive seien auch die Leistungen des Staates an die Religionsgemeinschaften gerechtfertigt, denn in ihnen werde Sinn gestiftet als der Keimzelle für gemeinschaftliches, bürgerschaftliches Engagement ohne welches kein Staatswesen existieren könne.

Grundlage für alle staatliche Anerkennung und Förderung in Form der in Deutschland praktizierten und von ihm als ein besonders gelungenes Modell staatlich-religiösen Miteinanders angesehene "kooperativen Trennung", muss aber sein, dass die jeweilige Gemeinschaft den gesellschaftlichen Grundkonsens, also die Verfassung, das Grundgesetz vorbehaltlos anerkenne. Als eine Schnittstelle dieser kooperativen Trennung von Staat und Kirche benannte Kretschmann die Schulen, wobei er für die Beibehaltung eines bekenntnisorientierten Unterrichtes in den jeweiligen Konfessionen plädierte, weil die Kinder authentische Erfahrungen machen müssten. Ein bloßer "religionskundlicher" Unterricht könne dies nicht leisten oder vermitteln. Aber natürlich setze er sich auch für die Einrichtung von Ethikunterricht ab der 1. Klasse für alle konfessionsfreien Schüler ein, auch wenn das Land dafür 700 bis 800 neue Lehrerstellen finanzieren müsste.


Nutznießer des Kooperationsmodells

Weil ja auch die Nicht-Religiösen von dem Kooperationsmodell profitieren, sei es durchaus gerechtfertigt, dass auch die konfessionsfreie Bevölkerung die Staatsleistungen an die Kirchen mitbezahlen müssen. Denn indem Religion in der Mitte der Gesellschaft gehalten werde, wie z.B. im wissenschaftlichen Umfeld an den Universitäten, müsse sie sich rechtfertigen, bleibe so auch im Blick der Gesellschaft, könne somit sich nicht so einfach radikalisieren, vielmehr hätte beispielsweise gerade die wissenschaftliche Theologie an den staatlichen Fakultäten immer einen zähmenden Einfluss auf die Religion genommen.

Und wenn es vielleicht auch manches gäbe, was einem Nichtreligiösen oder Freidenker in unserer durch christliche Einflüsse geprägten Gesellschaft missfallen mag, wie z.B. Kruzifixe in Klassenzimmern oder der Ausspruch des Bundespräsidenten "Gott schütze Deutschland", so würde dies die Freiheit des Einzelnen doch nicht einschränken und seien eher als folkloristische Elemente einzuschätzen. Abschließend riet Winfried Kretschmann den Zuhörern, dem Konfessionellen in der Gesellschaft mit mehr Gelassenheit zu begegnen, und über die offensichtliche staatliche Bevorzugung der großen Kirchen war zu hören: "Das müssen Sie aushalten können!"


Gelassenheit von Privilegierten ist einfach

Bei der abschließenden Publikumsdiskussion wurden Themen wie Gleichbehandlung in Schule und Beruf, in gesellschaftlichen Gremien wie dem Rundfunkrat aber auch im öffentlichen Raum bei Werbung für religiöse und weltanschauliche Anliegen angesprochen, wobei Winfried Kretschmann immer wieder dazu riet, man möge die Dinge gelassener einordnen. Eine Gelassenheit, die ihm, wie in einem kritischen Publikumseinwand zu hören war, als Angehöriger einer protegierten Religion vielleicht leicht fallen mag, wenn man aber sein Leben lang als Konfessionsloser Benachteiligung und Diskriminierung erfahre, sei es halt manchmal schwer, gelassen zu bleiben. Ein Satz Kretschmanns jedoch hatte eine Zuschauerin besonders beeindruckt: "Toleranz tut weh."

Zum Abschluss bedankte sich Andreas Henschel mit einem Wein- und Buchpräsent beim Spitzenkandidaten der Grünen: "Wenn Sie, Herr Kretschmann, demnächst dann Landesvater sind, und persönlich fände ich diese politische Entwicklung durchaus wünschenswert, dann werde ich Sie an die berechtigten Anliegen unseres noch kleinen, aber durchaus engagierten Verbandes erinnern und daran, dass wir das gleiche Recht auf Unterstützung und Privilegierung wie jede andere "sinnstiftende Gemeinschaft" haben.


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Quelle:
diesseits 4. Quartal, Nr. 93/2010, S. 18-19
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2011