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KULTUR/046: Konträre Gartenkonzepte in Islam und Buddhismus (diesseits)


diesseits 1. Quartal, Nr. 82/2008
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Sinnenfreude und Meditation
Konträre Gartenkonzepte in Islam und Buddhismus

Renate Hücking


In der Frühjahrsausgabe 2007 fragte diesseits die "Garten-Autorin" Renate Hücking nach religiösen Symbolen in den Gärten der Welt. Für diese Folge schaute sie sich im Islam und im Buddhismus um.


Waren Sie schon einmal in Andalusien? Dann haben Sie bei einem ihrer Stadtrundgänge sicherlich in die begrünten Innenhöfe der Häuser geschaut und sich gewünscht, dort im kühlen Schatten am Brunnen auszuruhen. Oder sie haben in dem mit Orangenbäumen bepflanzten Hof der Großen Moschee von Cordoba gesessen und mit den Augen die langen, schmalen Bewässerungsrinnen verfolgt. Gleicht dieser Baumgarten nicht einer Oase, in der das Wasser mitten in der Wüste Leben spendet?

Als Höhepunkt dieser Reise hatten Sie ganz bestimmt das Vergnügen, in Granada die strengen Hofgärten der Alhambra zu bewundern. Waren Sie nicht auch entzückt von den intimen und reich bepflanzten Gärten im benachbarten Generalife? Welch einen Luxus muss der Herrscher hier genossen haben: in einer luftigen Loggia auf weichen Kissen sitzend, die Lieblingsfrau an seiner Seite, lauscht er der Musik der Wasserfontänen. Angesichts dieser Gartenpracht fällt uns alles ein, was wir je über die Sinnenfreude des Orients gehört und in "1001 Nacht" gelesen haben. Und doch ist das, was wir heute in Spanien noch vom Erbe der Mauren sehen, nur ein müder Abklatsch der Gartenkultur, die sich seit dem 7. Jahrhundert im Einflussbereich des Islam entwickelt hat.


Das himmlische Paradies

637 begann die arabische Vorherrschaft. Byzanz war besiegt, das persische Reich lag am Boden, und wo immer die Araber hinkamen, trafen sie auf blühende Gärten. Die "Söhne der Wüste" müssen sprachlos gewesen sein angesichts des Wassers, das aus scheinbar unerschöpflichen Quellen floss und angesichts der blühenden Pflanzenfülle, die keinen anderen Zweck erfüllte, als das Auge des Betrachters zu erfreuen. Waren das vielleicht die Gärten, die Allah dem gläubigen Moslem nach dem Tod als Lohn für ein untadeliges Leben in Aussicht stellte?

Im Koran ist häufig von Gärten die Rede: "So seht das Bild des Paradieses, das dem Gottesfürchtigen verheißen ist", sagt Allahs Prophet Mohammed in Sure 47: "In diesem fließen Bäche von Wasser, das nicht verdirbt; Bäche von Milch, deren Geschmack sich nicht verändert; Bäche von Wein, lieblich für die Trinkenden; auch Bäche von geklärtem Honig. Dort werden sie alle Arten von Früchten und Vergebung von ihrem Herrn erhalten."

Die Vorstellung von einem solchen himmlischen Paradies verbreitete sich mit dem Islam vom Vorderen Orient bis nach Europa, Afrika und Asien. Immer sind es vier sich kreuzende Wasserläufe, die diesen von Mauern umschlossenen Garten durchfließen und seine geometrische Grundstruktur festlegen. Wie im Garten Eden der Christen. Doch die haben das Paradies verloren, es gehört der Vergangenheit an. Anders im Islam. Da liegt das Paradies in der Zukunft, und der Paradiesgarten lockt mit tausend Annehmlichkeiten, die der Gläubige sich verdienen kann.

Nicht zufällig liegt der Paradiesgarten hinter hohen Mauern - er ist ein der Wirklichkeit entrückter Ort andauernder Glückseligkeit, denn hier werden alle sinnlichen und materiellen Bedürfnisse befriedigt. Üppig grüne Bäume tragen herrliche Früchte wie Datteln und Granatäpfel. Der Selige wird auf Seidenkissen ruhen, die mit Gold und Edelsteinen geschmückt sind, er wird aus überfließenden Bechern einen Wein trinken, der nicht berauscht, während ihm bildschöne Jungfrauen zu Diensten sind. Diese Paradiesjungfrauen "mit großen schwarzen Augen gleichen Perlen, die noch in ihrer Muschel sind"; und - welch ein Wunder ! - sie bleiben ewig jung und verlieren nie ihre Unschuld.


Leben spendendes Wasser

Besonders häufig aber sind in den Gartenbeschreibungen des Korans die Brunnen und Wasserläufe erwähnt sowie die Schatten spendenden Bäume mit ihren reifen Früchten. Dabei kann es nicht verwundern, dass Menschen, deren Lebensraum von erbarmungsloser Hitze und Trockenheit geprägt ist, genau diese Elemente mit der Vorstellung vom Paradies verbinden. Und es liegt auf der Hand, dass diejenigen, die die Mittel dazu hatten, sich ein solches Paradies schon auf Erden schaffen wollten.

Dank der detaillierten Beschreibungen im Koran konnte das gelingen, und insofern ist der islamische Garten - egal ob in Marokko oder in Indien - immer ein Spiegelbild des himmlischen Paradieses. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich eine hohe Gartenkunst, wobei die regionalen Varianten vom Klima bedingt sind, von botanischen Gegebenheiten oder vor-islamischen Gartentraditionen. An der geometrischsymmetrischen Grundstruktur wird nicht gerüttelt, auch das Wasser als Symbol des Lebens fehlt nirgends. "Es ist Allah, der das Wasser gibt, die Quelle des Lebens", heißt es im Koran (Sure 6). Die im übertragenen Sinne reinigende Kraft des Wassers zeigt sich in der religiösen Praxis der rituellen Waschung mehrmals am Tag vor dem Gebet. Sie versetzt den Menschen in einen Zustand der Reinheit, der Voraussetzung dafür ist, dass der Gläubige mit Gott überhaupt kommunizieren kann.


Freude am Ornament

Die Gartengestalter haben das Wasser durchaus als ästhetisches Element genutzt: die spiegelglatte Oberfläche oder das silbern glänzende Fließwasser; das Plätschern der niederfallenden Fontäne oder das leise, gleichmäßige Fließgeräusch, das wie ein Flüstern an unser Ohr dringt. Brunnen, Plattformen oder Pavillons an der Kreuzung der Bäche schaffen Mittelpunkte und Wasserkanäle, die weit ins Haus reichen und somit Architektur und Garten verbinden.

Andere Übergänge von innen nach außen sind die durchbrochenen Stuckfenster und Türbögen, deren Schattenwurf an Sonnenlicht erinnern, das durch eine Baumkrone dringt und Blattmuster auf den Boden zeichnet. Auch der glänzende Wandschmuck aus blau-grünen glasierten Fliesen (Azulejos) und Mosaiken, deren lasierte Oberfläche das Licht reflektiert, bildet eine Klammer zwischen Haus und Garten. Überall ist eine Vorliebe für duftende Pflanzen erkennbar, die vor dichtem Blattwerk äußerst farbig und kontrastreich leuchten.

Islamische Gärten sind Gärten für alle Sinne. Innerhalb der geometrischen Grundstruktur ist die Freude am Ornament allgegenwärtig. Dafür fehlen bildliche Darstellungen von Göttern und Menschen. Der nach außen abgeschlossene Hofgarten ist ein intimer Raum, der zur nicht-öffentlichen, familiären Sphäre eines Hauses oder einer Residenz gehört. Hier steht der Genuss an erster Stelle.


Im Garten geboren und "erleuchtet"

Wie anders sind die Gärten, die in der buddhistischen Tradition stehen! In ganz Süd-, Ost- und Südostasien findet man sie, und überall ist sofort zu erkennen, in diesen Gärten hat nicht der sinnliche Genuss Priorität, sondern die besinnliche Betrachtung und die Meditation. Das kann nicht überraschen, erlangt Buddha doch seine "Erleuchtung", und damit sein wahres Glück, durch Besinnung und Meditation.

Das Leben und Wirken dieses undogmatischen Predigers im 5. Jahrhundert v. Chr. war eng mit der Natur verbunden: In Nordindien kam er in einem Park zur Welt, unter einem Baum, der sich, so die Legende, zuvor vor seiner Mutter verbeugt hatte. Das Kind, so heißt es, entsprang der rechten Hüfte seiner Mutter, während sich eine mächtige Lotosblume erhob, um den Knaben zu empfangen, wobei vom wolkenlosen Himmel ein Blütenregen niederging.

Als Jüngling erkannte er in einem Park das menschliche Leiden und die Vergänglichkeit aller irdischen Reichtümer. Während seiner dann folgenden sechsjährigen Suche nach Erlösung traf er inmitten von Palmenhainen auf meditierende Eremiten, die in bescheidenen Bambushütten und Grotten wohnten. Das Wichtigste in seinem Leben, seine "Erleuchtung" (Bodhi), erlangte Buddha wiederum unter einem Baum, einer Pappelfeige (Ficus religiosa), die als Bodhi- oder Buddhabaum bis heute große symbolische Bedeutung hat und vielerorts als heiliger Baum verehrt wird.


Buddhas Haine

Als dann der als heilig verehrte Buddha mit seinen gelb gekleideten Jüngern durch die Lande zog, wurden ihnen von den Reichen und Mächtigen immer wieder weitläufige Parks verehrt, in denen sie während der Regenzeit wohnen und das Volk unterweisen konnten. Diese Parks werden in alten Texten immer mit den gleichen Worten beschrieben: Sie liegen "nicht zu ferne und nicht zu nahe der Stadt, wohl versehen mit Eingängen, leicht erreichbar für das Volk, das dorthin verlangt, bei Tage nicht zu belebt, bei Nacht still, von Lärm und Menschenschwarm entfernt, ein Ort der Zurückgezogenheit und einsamer Betrachtung."

Zu solchen Buddhahainen gehörten Bäume und Wasser. Hinter den Mauern gab es große Badebecken und Teiche mit klarem Wasser, in denen sich Fische tummelten oder Wasservögel ihre Bahnen zogen; Blumenbeete mit Pflanzen in großer Fülle und Farbenpracht waren eine wunderschöne Zierde, und Schatten spendende Bäume sorgten für einen angenehmen Aufenthalt. Diese Vorläufer späterer Tempelanlagen waren öffentlich, und zahllose buddhistische Darstellungen zeigen Menschen, die sich mit Opfergaben einem Baum nähern, der von einem Zaun oder von Steinbalustraden umgeben ist.

Oftmals lagern auch wilde Tiere - der Löwe friedlich neben der Gazelle - ehrfürchtig vor dem heiligen Baum. Anders als in den fürstlichen Jagdgärten waren diese Tiere keine Beute, vielmehr folgten die Mönche Buddhas Verbot "Tötet kein Lebewesen!" Sie riefen die Tiere durch ein Trompetensignal herbei, um sie zu füttern. Mensch und Natur, das glauben die Buddhisten, sind eins; sie leben im Einklang und kennen nicht (wie die Christen) die Aufforderung, sich die Erde untertan zu machen.


Zen-Gärten in Japan

Mit der Ausbreitung des Buddhismus nach Sri Lanka und Indonesien, nach Tibet, China und Japan entstanden unterschiedliche Lehrtraditionen. Die markantesten Beispiele buddhistischer Gartentradition finden sich heute in Japan, vor allem in den Tempelgärten der Zen-Buddhisten.

Japanische Gärten sind meist von Mauern umgeben, doch über diese Begrenzung hinweg sieht man die Landschaft, die sich auf diese Weise mit der gestalteten Natur verbindet. Es sind Orte der Ruhe und des Friedens, der Gelassenheit und Harmonie, sparsam ausgestattet mit Wasser, Pflanzen und Steinen. Da sind die früh blühende Azalee, die besonders gewachsene Kiefer, die Chrysantheme im Herbst, das Gewässer und die Steine, die allein oder in Gruppen gesetzt werden.

Anders als im islamischen Garten fehlen die farbenfrohe Ornamentik sowie die geometrische Grundstruktur. Bescheidenheit ist gefragt und die Konzentration auf das Wesentliche, das sich nicht in Äußerem offenbart. Es gibt auch keine Symmetrie; der Garten scheint frei zu sein von allen rationalen Gesetzmäßigkeiten, und trotzdem stehen die einzelnen Elemente in Beziehung zueinander. Jedem Teil seinen richtigen Platz zu geben, ist die Aufgabe des Gartengestalters; sein Ziel muss es sein, die den natürlichen Dingen innewohnende Schönheit zur Geltung zu bringen.

Ein solcher Garten lässt sich nicht im Vorübergehen besichtigen, man muss ihn mit Ruhe und Konzentration betrachten, am besten aus der Perspektive der Japaner - hockend oder auf dem Boden sitzend. Dann kann man im Zusammenspiel von Fläche und Felsen, Wasser und Vegetation eine auf die einfachsten Elemente reduzierte Landschaft erleben.

Dieses Prinzip der Reduktion wird nirgends so radikal und konsequent angewendet wie in den Tempelgärten der Zen-Buddhisten. Der berühmteste dieser so genannten Trocken-Landschaftsgärten ist der Ruoanjin-Tempelgarten bei Kyoto. Hier gibt es nichts als fein geharkten Kies und fünf scheinbar willkürlich verteilte Steingruppen. Sind die Steine Inseln in einem See? Oder ist es die Tigermutter, die mit ihren Jungen den Fluss durchquert? Interpretationen dieses Gartens gibt es viele, ist doch die Bedeutung keineswegs festgelegt. Sie ergibt sich für jeden einzelnen Betrachter erst durch die Interaktion zwischen ihm und der Natur. Im Prozess der meditativen Betrachtung können sich die Grenzen zwischen Ich und Objekt auflösen. Das käme dann der von Buddha angestrebten vollkommenen Harmonie im Weltgefüge ziemlich nahe.


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Quelle:
diesseits 1. Quartal, Nr. 82/März/08, S. 25-27
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
Telefon: 030/613 904-41
E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
1. März, 1. Juni, 1. September und 1. Dezember.
Jahresabonnement: 13,- Euro (inklusive Porto und
Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,25 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2008