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KULTUR/051: Eine Plauderei über Sprachbilder (diesseits)


diesseits 4. Quartal, Nr. 89/2009 -
Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Von Prothesen und Antithesen
Eine Plauderei über Sprachbilder

Von Ralf Bachmann


1945 stand ich als blutjunger Volontär der "Nachrichten für Grimma" hinter dem ebenerdigen Verlagsschaufenster und wunderte mich über einige Knaben, die obszöne Gesten in unsere Richtung machten und sie mit ebensolchen Rufen begleiteten. Als des Rätsels Lösung erwies sich eine kleine Notiz auf der Lokalseite dieses Tages: "In der Handschuhfabrik M. & P. Händel brach gestern ein Feuer aus, das aber noch vor Eintreffen der Feuerwehr von den männlichen Gliedern der Belegschaft gelöscht werden konnte." Alles an diesem Text stimmte, nur das Bild nicht. So kam ich auf die Idee, spaßige Bildstörungen zu sammeln.

Im Bild bleiben ist in der Sprache wichtig. Das Bild, die Trope, ist ihr emotionalster und schönster Teil, vielleicht die ursprünglichste Form der Menschen, sich künstlerisch zu artikulieren. Allerdings kann man sich auch mit kaum etwas so leicht lächerlich machen wie mit dem Verdrehen und Verstümmeln bildhafter Redewendungen, seien sie noch so abgenutzt und verblasst. In der ARD-Dauerserie "In aller Freundschaft" dient ein Pfleger Brunner als Witzfigur, weil er alle Sprichwörter verballhornt. Er sagt "Schmiede das Glück, so lange es heiß ist" oder "Morgenstunde ist aller Laster Anfang". Ein Klassiker meiner Sammlung übertrifft ihn: Der Zahn der Zeit, der so manche Träne getrocknet hat, wird auch über diese Wunde Gras wachsen lassen. Meist entstehen solche Zerrbilder durch Versprecher. Als TV-Moderatorin Karen Mioska von einer "kläffenden Wunde" sprach, dachte sie vielleicht eher an "klaffende Hunde". Unter Zugzwang litt der Stuttgarter Fußballtrainer Markus Babbel mit der Forderung: "Wir müssen uns selbst bei den Haaren aus dem Schopfe ziehen." Franz Müntefering aber verwahrte sich im Fernsehen energisch dagegen, die "SPD mit der Nase durch den Ring zu ziehen". Er hat zu viel Boxübertragungen gesehen. Das Sprachbild geht auf einen anderen Ring zurück, den durch die Nase, mit dem einst Schausteller Tanzbären vorführten. Seine Version ist ähnlich seltsam wie die Sache vom Kamel, das laut Matth. 19,24 leichter durch ein Nadelöhr kommen kann als ein Reicher ins Reich Gottes. Müssten sich kritische Leser nicht fragen, wie der Herr Jesus darauf kam, ausgerechnet das Wüstentier für eine solche Gegenüberstellung auszuwählen? Doch Martin Luther kam bei der Übersetzung nicht darauf, dass da vermutlich ein Schreibfehler unterlaufen ist. Die irischen Mönche, auf deren Bibelabschrift sich Luther stützte, kannten das griechische Wort kamilos wohl nicht und ersetzten es durch kamelos, Kamel. Kamilos heißt aber "Schiffstau". So ein dicker Strick passt zwar nicht durch ein Nadelöhr, aber umso besser zu dem Vergleich. Eine andere, weniger wahrscheinliche Erklärung bezieht sich auf ein für Kamele zu kleines Tor in der Jerusalemer Stadtmauer.


Wo beim "Bfüdi" der Herrgott steckt

Wer sich näher mit der Sprache beschäftigt, stellt fest, welchen Einfluss die Religion auf ihre Entwicklung genommen hat. Wir werden geradezu umzingelt von Redewendungen, die ihren Ursprung in kirchlichen Ritualen und in der Lutherbibel oder in abergläubischen Beschwörungen haben. Kann man "Pfui Teufel" oder "Gottverdammich" leicht zuordnen, so muss man beim österreichischen "Bfüdi" (Behüt dich Gott) oder dem deutschen "Tschüs" (in dem sich das französische "Adieu" versteckt) nach dem Allmächtigen erst suchen. Wenn in München einer "Grüß Gott" sagt, meint er aber nichts anderes als der Ostfriese mit "Moin, Moin" oder der Berliner mit "Tach auch" und erwartet nicht, der Angesprochene werde den alten Herrn demnächst treffen und ihm die Grußbotschaft übermitteln. "Gebs Gott" ist eine Variante von hoffentlich, "So Gott will" sagt mancher statt "Wenn wir Schwein haben". Solche Floskeln sind in der Regel gänzlich sinnentleert. Deshalb ist auch das Vokabular von Atheisten keineswegs gottlos. Im Vorjahr habe ich bei einer HVD-Veranstaltung eine Strichliste geführt und registrierte binnen drei Stunden 19 Sprachbilder "himmlischer" Herkunft.

Das Wort Himmel zum Beispiel ist in seiner nichtastronomischen, jenseitigen Bedeutung unentbehrlicher Bestandsteil jeglicher Umgangssprache: Um Himmels willen; Es schreit zum Himmel; Im siebenten Himmel; Himmel und Hölle; Himmel, Arsch und Zwirn; Ach du lieber Himmel; Himmelhund. Wer denkt bei diesen so weltlichen Wünschen, Flüchen und Ausrufen noch an jene unsterbliche Dreieinigkeit, die vom Himmelsthron aus ganz ohne Handy und Internet die Welten lenken muss? Meine Mutter liebte es, endlose Debatten mit einem resoluten "Also hat Gott die Welt geliebt wie der Pastor seine Köchin, und die hieß Marie" zu beschließen. Das gewährte einen tiefen Einblick in die Kirchenwelt, meinte aber nur: Hört auf mit dem blöden Gequatsche!

Das ist ein eigenartiges Merkmal der meisten Sprachbilder: Ihr ursprünglicher Sinn interessiert nicht. Gewicht hat allein, was der Benutzer in ihnen sieht. Sich mit dem Wandel der Wortbedeutung zu befassen, ist aber oft nützlicher Geschichtsunterricht. Der Wiener Essayist Karl Kraus sagt es so: "Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück." Für Einzelheiten ist hier kein Platz, aber man denke darüber nach, in welcher Umwelt solche heute noch benutzten Redensarten entstanden sind wie: "In den ist der Teufel gefahren", "Den Teufel austreiben", "Ins Jenseits befördern", "Die hätte man als Hexe verbrennen sollen", "Muss ich bis zum Jüngsten Gericht warten?", "Der gehört auf den Scheiterhaufen", "Du musst die Kirche im Dorf lassen."

Nicht jede Redewendung ist ein Volltreffer. So wäre es ein Irrtum zu glauben, die Leute redeten, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Die meisten geben leider, unbewusst und in gewissen Varianten, nur das wieder, was sie von anderen Schnäbeln gehört haben: von Eltern, Lehrern, in der Umgebung, den Nachrichten, Talkshows, Zeitungen. Leicht werden sie dabei manipuliert und penetrant wiederholte Begriffe sickern schließlich in ihr Denk- und Sprechschema ein. Auf Anhieb fallen mir da "christliches Abendland", "gottgefällig handeln", "zum rechten Glauben zurückkehren", "christliche Leitkultur" oder die Glaubenseidformel "So wahr mir Gott helfe" ein. Dass in Krisenzeiten verbale Bigotterie spürbar zunimmt, begründet Kraus mit der These: "Wenn eine Kultur fühlt, dass es mit ihr zu Ende geht, lässt sie den Pfarrer kommen."

Wo gehobelt wird, fallen Späne. Selbst Große verirren sich im dichten Sprachwald dann und wann. Goethe, der im "Faust" den goldenen Baum des Lebens grün sein ließ, schrieb im "Werther": "Das waren dem Gehirne spanische Dörfer." In seinem Gehirne hatten sich zwei Redensarten verheddert. Da können einem böhmische Dörfer schon mal spanisch vorkommen. Die "Berliner Zeitung" wurde von diesem geflügelten Wort zu kühnen geografischen Phantasien angeregt: "Darüber hinaus ist Chinesisch für Mitteleuropäer eher ein böhmisches Dorf." In Spanien sagt man übrigens: Das kommt mir chinesisch vor.


Ochsenschleim und Mutschekuh

Ein weiteres markantes Ausdruckselement der Sprache ist der Klang der Wörter. Vor Jahren las ich, wie ein Gedicht des Kinderbuchautors Lewis Carroll ("Alice im Wunderland") neu übersetzt wurde:

Verdaustig wars, und glasse Wieben
Rotterten gorkicht im Gemank;
Gar elump war der Pluckerwank,
Und die gabben Schweisel frieben.

Bloßer Quatsch? Vorsicht. Die wichtigsten Wörter sind zwar ersponnen, aber der Text löst trotzdem Empfindungen aus, er klingt, als ob sich jemand in einer miesen Situation - im Sumpf? - elend fühlt. Wie kommt das? Da sind Laute, da sind Ähnlichkeiten mit Sinnvollem. Zumindest höherer Blödsinn also. Vokale und Buchstabengruppen können hart oder weich, lockend oder drohend, angenehm oder unappetitlich klingen, jeder weiß, dass ein "Aaah" das Gegenteil von einem "Äääh" ist, dass "Oooh" Freude und "Ööh" Protest ausdrückt. Ganz unabhängig von der Bedeutung hört sich Mutschekuh lieb und Ochsenschleim eklig an. Werbeleute machen sich das zunutze.

Friedrich von Logau (1604-1655) rühmte die Breite der Klangpalette unserer Muttersprache:

Kann die deutsche Sprache schnauben,
schnarren, poltern, donnern, krachen,
kann sie doch auch spielen, scherzen,
lieben, kosen, tändeln, lachen."

Aber aufgepasst! Der Klang kann auch irreführen. Als mein Sohn zum ersten Male das Wort Aftershave hörte, grinste er hintergründig. Auf die Frage, ob er überhaupt wisse, was das ist, antwortete er postwendend: "Na klar, was für'n Hintern." Und als meiner Tochter im Gespräch das Wort Kotflügel begegnete, reagierte sie mit "Iiih!" Wie hässlich klingt Gemeinnutz, wie schön dagegen Grünspan und Blausäure. Wie ähnlich sind sich Amor und Amok. Das Gegenteil von Prothese ist nicht Antithese. Mark Twain, der im "Bummel durch Europa" der "schrecklichen deutschen Sprache" ein Kapitel widmet und nicht ganz ernst gemeinte Verbesserungsvorschläge unterbreitet, bemängelte, Wortklang und Bedeutung stimmten im Deutschen nicht überein. Das Wort Gewitter erinnere ihn an Vogelgezwitscher. Selbst das englische toothbrush (Zahnbürste) komme ihm kraftvoller vor als etwa Ausbruch, von thunder, burst, crash, roar nicht zu reden. Da freute ihn, eine feine deutsche Dame zu einem US-Girl sagen zu hören: "Die beiden Sprachen sind sich so ähnlich - wie nett; wir sagen 'Ach Gott!', und Sie sagen 'Goddam!'"


Dahingeschieden oder abgenippelt?

Wer schon mal einen Anzeigentext aufsetzen musste weiß: Umgangssprachliche Wörter sind dafür meist unbrauchbar. Warum? Es gibt drei Sprachebenen mit vielen Abstufungen: den gehobenen Stil, die stilistische Null-Färbung, die Vulgärsprache. Nehmen wir eine Todesanzeige. Da steht vom so plötzlich Dahingeschiedenen, vom teuren Toten, den der Herr zu sich genommen hat. Das sind feierliche Varianten. Der ist erbärmlich verreckt, hat ins Gras gebissen, ist abgenippelt, hat seinen Löffel abgegeben, den hat der Teufel geholt. So hört es sich vulgär an. Neutral wäre gestorben, den letzten Atemzug getan, einer langen Krankheit erlegen. Humoristen leben von der Vermischung der Stile. Auch in der Laiengruppe übten wir: Der Riese sprach mit dröhnender Stimme: Mama, ich muss pullern. In der Frage des Dieners zur Hausherrin "Geruhen Frau Gräfin nicht auch zu bemerken, dass dieses ein rechtes Scheißwetter sei?" macht ein Wort aus dem Sprachprekariat aus der höfisch formulierten Frage einen Witz.

In dieser Krisenzeit wird allenthalben zur Sparsamkeit ermahnt, warum nicht auch beim Wortgebrauch? Doppelt moppeln ist eine deutsche Sprachuntugend, die vor allem in Berlin durch die Mischung des Adelsfranzösisch mit dem heimischen Dialekt eine lange Tradition hat. Wie konstatiert der Berliner Lokaldichter und Erfinder des Eckenstehers Nante, Adolf Glaßbrenner: "Tugend ist nur Mut zur Courage." Dem gleichen tautologischen Topf sind "infame Gemeinheit", "konträres Gegenteil" und "gegenwärtig nicht momentan" entnommen.

In der ehemaligen DDR spöttelte man gern: "Spare mit jedem Pfennig, koste es, was es wolle." Ehemalige DDR? Das hätte nur Sinn, wenn irgendwo eine zweite herumläge, die noch existiert. Aber manche haben Angst, als Nostalgiker zu gelten, wenn sie einfach DDR sagen, so wie sie in Berlin gar die Erdachse drehen und vom ehemaligen Ostteil der Stadt reden. Weißen Schimmeln begegnet man überall, bei RTL im Versprechen, einen "neuen Start anzufangen", im RBB-Inforadio beim "früheren Ex-Präsidenten Clinton", und Monitor fragt, "wie es künftig weitergehen wird".

Meist soll Wortbombast nur kleine Sprachfürzchen zu Donnerschlägen aufblasen. Beliebt ist das in Parlamentsreden. O-Ton: "Gerade im Angesicht der Komplexität der aktuellen Situation sollten wir hektische Betriebsamkeit auf diesem Sachgebiet tunlichst meiden." Gemeint ist: "Ehe wir in ein Fettnäpfchen treten, machen wir lieber gar nichts." Der Chef des Marburger Bundes verkündete vor einem Ärzteausstand: "Die Ärzte wollen eine Streiksituation gestalten." - "Die Ärzte wollen streiken" hätte auch genügt. Auf der Fanmeile zur Fußball-WM wollten die Händler "im Vorfeld der Veranstaltungen" die Riesenbratwürste nicht schlicht anbieten, sondern "zum Verzehr bringen". Das teilten sie Journalisten nicht etwa mit, nein, sie brachten es ihnen zur Kenntnis.

So gestelzt reden Stadionausrufer und Regierungssprecher, Betriebsrat und Bischof, Bürgermeister und Kanzlerin. Ist es wirklich schon 130 Jahre her, dass ein Münsteraner Pfarrer als Neujahrsgebet sagte: Gib den Regierenden ein besseres Deutsch und den Deutschen eine bessere Regierung. Herr sorge dafür, dass wir alle in den Himmel kommen. Aber nicht sofort.


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Quelle:
diesseits 4. Quartal, Nr. 89 4/2009, S. 32-34
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2009