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STANDPUNKT/172: Evolution, "Intelligent Design" oder ...? (diesseits)


diesseits 3. Quartal, Nr. 80/2007 - Zeitschrift des Humanistischen Verbandes

Evolution, "Intelligent Design" - oder gar die Geschichte mit dem Lehm?
Humanistische Gedanken über die Entstehung von Leben und Welt

Von Jürgen Gerdes


Die Bibel gibt vor, was in der christlichen Welt für die Entstehung der Erde und des Lebens auf ihr zu gelten hat. Die diesbezüglichen Passagen nennt man - bezeichnender Weise - "Schöpfungsgeschichte". Andere Religionen haben eigene Vorstellungen hierzu entwickelt und sind zu unterschiedlichsten Ergebnissen gekommen, je nachdem, in welchem Teil unseres Planeten sie entstanden sind. Nur Darwins Evolutionstheorie aus dem 19. Jahrhundert gibt wissenschaftliche Antworten auf die Frage nach der Entwicklung des Lebens. Die Zweifler sind nicht mehr zu überhören.


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In allen Kulturen entstanden im Laufe der Geschichte Überlieferungen, die erklären sollten, warum die Erde mit ihrer ganzen Vielfalt existiert und wie der Mensch als ganz besonderes Wesen ins Spiel kam. Auf dem amerikanischen Kontinent gibt es eine Vielzahl von Schöpfungsgeschichten; von Region zu Region sind sie unterschiedlich. Im Stamm der Irokesen glaubt man zum Beispiel, dass es Schildkröten waren, die beim Entstehen der Welt die entscheidende Rolle spielten. Dazu Fritz Ley in seinem Buch "Das Werden von Mensch und Welt":

"In uralten Zeiten, als es weder Erde noch Menschen gab, erstreckte sich über dem Himmelsdach ein herrliches Reich. Unter dem Himmel aber breitete sich eine Wasserwüste, wo Wassertiere aller Art lebten. Einst öffnete sich im Himmelsgewölbe geräuschvoll ein Loch. Eine Himmelsfrau fiel herab und konnte sanft auf dem Rücken zweier Schwäne zum Liegen kommen. Die Schwäne riefen die Tiere zur Beratung. Sie befolgten schließlich den Rat der großen Schildkröte, genannt Dicke-Schildkröte: Die Tiere tauchten zum Grunde des Wassers, um Schlamm und Lehm hervorzuholen. Diese Massen sollten sie auf dem Rücken von Dicke-Schildkröte ablegen, damit dort die Himmelsfrau eine Wohnung habe.

Keinem der starken Wassertiere gelang es, Erde hervorzuschaffen. Klein-Schildkröte aber kam nicht an die Oberfläche. Endlich tauchte sie doch auf, mit viel Erde im Mund. Die Tiere streuten diese Erde über den Rücken von Dicke-Schildkröte. Hier aber wuchs die Erdmasse zusehends zu einer Insel. Die Schwäne ließen die Himmelsfrau die Insel betreten, wo sie sich häuslich einrichtete. Dicke Schildkröte und das Landauf ihrem Rücken wuchsen immer weiter, doch fehlte es an Licht und Wärme. Nach einiger Zeit kam ein Unwetter auf, das über die Wasserfläche zog mit heftigen Blitzen. Klein-Schildkröte schwang sich in einer Wolke zum Himmel empor und ergriff dort den hellsten Teil eines Blitzes. Daraus formte sie eine Kugel, welche sie als Sonne am Himmelsdach befestigte."


Konkurrenz zu religiösen Dogmen

Eine liebenswerte Geschichte. Eine von Hunderten, die neben der christlichen Schöpfungsgeschichte stehen und die uns heute eigentlich alle ein wenig fremd vorkommen. Für aufgeklärte Menschen des 21. Jahrhunderts stellt die Evolutionstheorie eigentlich die einzige verstandesmäßig erfassbare und nachvollziehbare Erklärung dar. Seit Darwin wurde sie auf vielfältige Weise durch die wissenschaftliche Forschung modifiziert. Auch heute führen noch ständig neue Erkenntnisse zu einer Präzisierung. Ein Ende der Vertiefung des vorhandenen Wissens ist bislang noch nicht absehbar.

Der Journalist Jörg Albrecht formulierte in einem Artikel für das Zeit-Magazin mit eingängigen Worten, was Mitte des 19. Jahrhunderts das grundlegend Neue an den Überlegungen Darwins war:

"Erstens: Nichts in der Geschichte ist beständiger als der Wandel. Arten entstehen, Arten sterben aus - eine unaufhörliche Prozession von Erscheinungsformen.

Zweitens: Jede Art tendiert dazu, eine begrenzte Zahl von Nachkommen in die Welt zu setzen. Nur die Wenigsten, nämlich die 'Tüchtigsten' überleben, nicht auf Grund von Zufällen, sondern auf Grund 'natürlicher Zuchtwahl' - das Prinzip von Mutation und Auslese.

Drittens: Alles Leben besitzt gemeinsame Urahnen - die Insekten so gut wie die Amphibien, die Pflanzen so gut wie der Mensch.

Viertens: Das Leben schreitet kontinuierlich voran, von niedrigen Organismen zu höheren, langsam aber stetig - Evolution statt Revolution."

Die Aussagen von Darwin und den Wissenschaftlern, die nach ihm die Forschungen weiter vorantrieben, kollidierten mit den religiösen Dogmen aller Religionen - weltweit. Doch nur in der christlichen Welt kam es zu erheblichen Auseinandersetzungen darüber. Anderswo wurden die Theorien der Evolutionsforscher so behandelt wie andere wissenschaftliche Erkenntnisse auch. Sie wurden akzeptiert, wenn sie den Ansprüchen an Wissenschaftlichkeit genügten. Woran lag es, dass aus dem Christentum solcher Widerstand kam?


Frontalangriff auf Grundpositionen

Als alte Religion mit einer 2000 Jahre alten Tradition der Auseinandersetzung mit neuem, fortschrittlichem Gedankengut empfand das Christentum die Evolutionsideen als Frontalangriff auf seine Grundpositionen. Erstmals sah es sich nicht lediglich mit einer anderen Meinung oder einer anderen religiösen Wahrheit konfrontiert, der mit der Berufung auf die eigene "Wahrheit" begegnet werden konnte. Auch Zensur oder Gewalt half dagegen nicht. Der wissenschaftlichen Argumentation und den greifbaren Ausgrabungsergebnissen der Geologie und Paläontologie war nur wenig entgegenzusetzen. Der Evolutionsgedanke brachte nicht nur christliche Dogmen ins Wanken. Er rührte auch an der grundsätzlichen Akzeptanz christlichen Gedankengutes. Was stand plötzlich alles in Frage?

Der Glaube an eine Welt, die seit der Schöpfung konstant ist
der Glaube an eine Welt, die in einem einzigen Akt erschaffen wurde
der Glaube an eine perfekte Welt, die von einem weisen und gütigen Gott entworfen wurde
der Glaube an die einzigartige Stellung des Menschen innerhalb der Schöpfung
der Anspruch darauf, als Kirche der unangefochtene, alleinige Sachwalter des Erklärungsmodells der Weltentstehung zu sein. Und nicht zuletzt
der Mythos der Unfehlbarkeit heiliger Bücher und der Kirche an sich.

Mit Darwin und seinen intelligenten und clevereren Sachwaltern hatte plötzlich die Welt ein neues Gesicht bekommen. Sie wurde denkbar ohne einen dahinter stehenden großen Plan, ohne Schöpfer, ohne Gut oder Böse. Sie war einfach.

Die christliche Amtskirche schien sich irgendwann damit abgefunden zu haben. Stellte sie doch fest, dass trotz aller vom Evolutionsgedanken gesäten Zweifel immer noch Hunderte von Millionen Menschen an ihre Version des Weltenplans glaubten. So enthält die Botschaft von Papst Johannes Paul II. an die "Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften" im Oktober 1996 die folgende Passage: "Heute ... geben neue Erkenntnisse dazu Anlass, in der Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese zu sehen. Es ist in der Tat bemerkenswert, dass diese Theorie nach einer Reihe von Entdeckungen in unterschiedlichen Wissensgebieten immer mehr von der Forschung akzeptiert wurde. Ein solches unbeabsichtigtes und nicht gesteuertes Übereinstimmen von Forschungsergebnissen stellt schon an sich ein bedeutsames Argument zugunsten dieser Theorie dar."


Griffiger Produktname

In Deutschland und in unterschiedlichem Maße auch im restlichen Europa ist die Frage, ob die Evolutionstheorie oder doch eher der christliche Schöpfungsmythos der Realität am Nächsten kommt, in der Bevölkerung schon lange zugunsten der Evolution entschieden. Sicherlich auch für viele, die sich im Herzen noch ein wenig als Christen fühlen. Laut Focus teilen 72 Prozent der Deutschen die Auffassung, die Entstehung der Welt und des Lebens sei mittels der Evolutionslehre zu erklären. Doch der renommierte Kasseler Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera schätzt, dass auch in Deutschland rund 1,3 Millionen Bürger als Kreationisten einzuschätzen sind. Im Gespräch mit Spiegel-Online erklärte das Beiratsmitglied der Giordano Bruno Stiftung im September 2006: "Es handelt sich um evangelikale Christen, die sich eins zu eins zu den Wahrheiten der Bibel bekennen."

Ganz anders in den USA. Dort sind nur 40 Prozent Anhänger des Evolutionsgedankens. 39 Prozent dagegen teilen den Glauben an den christlichen Schöpfungsmythos und 21 Prozent sind sich nicht sicher, was sie glauben sollen. Seit Jahrzehnten tobt ein erbitterter Richtungskampf zwischen bei den Auffassungen. Immer wieder kommt die Sache vor Gericht, wenn eine christlich dominierte Schulbehörde untersagt, das Evolutionsprinzip im Schulunterricht zu behandeln - oder gar ein Parlament eines Bundesstaates dazu ein Gesetz erlässt. Zurzeit sind in 31 Bundesstaaten Klagen in dieser Sache anhängig.

Seit einigen Jahren haben die Evolutions-Kritiker eine neue Variante des Schöpfungsglaubens entwickelt. Sie sprechen vom "Intelligent Design". In diesem Denkgebäude werden einige Inhalte der Evolutionstheorie (diejenigen, die man inzwischen beim besten Willen nicht mehr bestreiten kann) aufgegriffen und mit der Vorstellung einer über allem herrschenden, gestaltenden Kraft verbunden. Mit einem griffigen Produktnamen versehen, bereichert diese neue Schöpfungsvariante jetzt die Diskussionen.

Gerade in den USA war die Neuformulierung der alten Schöpfungsvorstellung aus juristischen Gründen erforderlich. Der US Supreme Court, das höchste US-Gericht, hatte wiederholt festgestellt, dass es an den Schulen keinen Religionsunterricht geben darf. Auch nicht versteckt im Biologieunterricht. Durch die Präsentation des Schöpfungsglaubens im neuen Gewand "Intelligent Design" als eine der Evolution gleichwertige Theorie hoffen religiöse Gruppen, auf einem Umweg in amerikanische Schulen zu kommen. In Kansas haben sie sogar Erfolg damit gehabt. Dort ist die Evolutionstheorie seit 2005 zum Entsetzen der wissenschaftlichen Welt neuerdings aus dem Schulunterricht verbannt. Ersetzt durch "Intelligent Design". Ein ähnlicher Versuch der Regierung Berlusconi in Italien im gleichen Jahr schlug fehl. Nach einer öffentlichen Protestwelle sondergleichen musste die entsprechende Verordnung zurückgezogen werden.


"Ideologie, nicht Wissenschaft"

Wenn man sieht, dass gerade in religiös dominierten Demokratien auch in der Politik viele Vertreter des "Intelligent Design" wirken, drängt sich der Verdacht auf, dass die Verfechter dieser Idee Absichten und Pläne in die Natur hineinlegen möchten, um ihre eigenen moralischen oder politischen Absichten dadurch besser untermauern zu können. Mit dem Ziel, Kreationismus als Teil eines politischen Programms hoffähig zu machen, das konservative Werte aufrecht erhält oder wieder einführen will.

In Europa begann man in den Medien überhaupt erst wieder über die Frage der Stichhaltigkeit der Evolutionstheorie nachzudenken, nachdem der Wiener Kardinal Schönborn im Jahre 2005 in der New York Times unter dem Titel "Finding Design in Nature" (Den Plan in der Natur entdecken) einen Kommentar veröffentlichte. Hier der Kern seiner Überlegungen:

"Die Evolution im Sinne einer gemeinsamen Abstammung (aller Lebewesen) kann wahr sein, aber die Evolution im neodarwinistischen Sinn - ein zielloser, ungeplanter Vorgang zufälliger Veränderung und natürlicher Selektion - ist es nicht. Jedes Denksystem, das die überwältigende Evidenz für einen Plan in der Biologie leugnet oder wegzuerklären versucht, ist Ideologie, nicht Wissenschaft."

In Italien kam es kurz darauf zu einer Auseinandersetzung, als auf ministerielle Weisung für ganz Italien die Evolution aus den Lehrplänen gestrichen werden sollte. "Intelligent Design" wurde als Alternative ins Gespräch gebracht. Erst als die öffentlichen Proteste zu laut wurden, ruderte die Regierung Berlusconi zurück.

In Deutschland blickt man zurzeit auf Hessen, wo vergleichbare Initiativen aus dem Kabinett Koch (CDU) kommen. Be reits im Jahr 2006 wandte sich deshalb der Verband Deutscher Biologen (VDBiol) an die Kultusministerin Wolff, weil sie die christlichen Schöpfungsvorstellungen im Biologieunterricht behandeln lassen will. Ulrich Kutschera und weitere Wissenschaftler haben ihr in einem gemeinsamen Brief namens des VDBiol geschrieben und dabei auch auf Parallelen zu anderen Wissenschaften hingewiesen:

"Der Kreationismus wird von der wissenschaftlichen Gemeinschaft einhellig als Pseudo-Wissenschaft betrachtet. Indem er die gemeinsam von den Geo- und Biowissenschaften erarbeitete Erd- und Stammesgeschichte in Abrede stellt, hat er sich außerhalb des wissensbasierten Diskurses positioniert. Da Sie sich in Ihrer Stellungnahme zu den Gießener Vorgängen vom Kreationismus distanziert haben, bleibt unklar, in welcher christlich relevanten Form man die Evolutionstheorie noch in Frage stellen könnte. Hier verbleibt allenfalls die Position, die als 'Intelligente Planung' (Intelligent Design) bekannt ist. Doch auch diese Form einer Schöpfungslehre wird von der wissenschaftlichen Gemeinschaft einhellig als verfehlt und unwissenschaftlich erachtet. Hinzu kommt, dass gerade in diesem Falle das Argument der 'schiefen Bahn' zum Tragen kommt: Wenn man in einer wissenschaftlichen Theorie übernatürliche Eingriffe zulässt, ist keine Grenze erkennbar. Die Eingriffe werden je nach Glaubensausrichtung mehr und mehr, und wir enden wieder bei Religion und Weltanschauung, die im Wissenschaftsunterricht nichts zu suchen haben.

Wenn es also zulässig sein sollte, die Evolutionstheorie durch außerwissenschaftliche Alternativen in Frage zu stellen, dann müsste dies konsequenterweise auch für andere wissenschaftliche Theorien gelten. Müssen wir künftig also damit rechnen, dass das hessische Kultusministerium zum Beispiel die Infragestellung der Astronomie durch die Astrologen, die Infragestellung der Avogadro-Zahl in der Chemie durch die Homöopathen oder die Infragestellung der Geophysik durch Wünschelrutengänger für zulässig erachtet? Vermutlich nicht. Dann darf es aber auch keine Ausnahme für die Evolutionstheorie geben, nur weil deren Kritik von christlicher Seite kommt und sich daher auf den von Ihnen befürworteten theologischen Dialog im naturwissenschaftlichen Unterricht berufen kann."


Der Mensch bleibt auf sich selbst geworfen

An den Universitäten - wo die Wissenschaft zu Hause ist - geht man derweil seiner normalen Arbeit nach. Ulrich Kutschera sagt im Magazin Zeit-Wissen, warum das so ist: "Es gibt in der Biologie keine Debatte über die Evolution. Wissenschaftler forschen, diskutieren und streiten unablässig über Details der Stammesentwicklung. Immer wieder werden dabei auch Fehlannahmen verworfen. Aber nach Datenlage aus Funden, Experimenten und unserem Verständnis der Lebensprozesse ist es unstrittig, dass eine Evolution stattgefunden hat. Eine Entwicklung von primitivsten Lebensformen hin zur Welt, die wir kennen, getrieben durch zufällige Veränderungen, beeinflusst durch Umweltbedingungen und Konkurrenzdruck."

Während also in der Biologie die Evolutionslehre mit weiteren Fakten bereichert und gefestigt wird, nimmt die Debatte in der Öffentlichkeit zu. In Zeitungen und Zeitschriften geht es vorrangig um Wissenschaftlichkeit, um wissenschaftliche Ehrlichkeit. Und es geht, wie z.B. in Hessen, um die Frage, wie weit ein modernes Gemeinwesen sich noch auf theologische Denkgebäude stützen darf, deren Inhalte die Wissenschaft nur noch als Relikte aus vorwissenschaftlicher Zeit betrachtet - ohne jeden aktuellen Realitätsbezug.

Es geht auch um das eigene Selbstverständnis. Um die Frage, welche Folgerungen mit der einen oder anderen Sichtweise verbunden sind. Die Zahl aktueller Veröffentlichungen ist inzwischen kaum noch zu zählen. Wissenschaftler von Rang haben sich inzwischen mit den Grundlagen der neuen Schöpfungsvariante "Intelligent Design" und ihren Auswirkungen auseinander gesetzt. Einer der Profiliertesten unter ihnen ist Franz Wuketits, Professor für Wissenschaftstheorie an der Universität Wien, zugleich stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Konrad-Lorenz-Instituts für Evolutions- und Kognitionsforschung in Altenberg/Niederösterreich. Er macht deutlich, weshalb mit Evolution mehr verbunden ist als nur die Erkenntnis über die Entstehung der Arten, die noch im Zentrum von Darwins Überlegungen stand. In seinem Aufsatz "(Un-)Intelligent Design?" in der Zeitschrift Aufklärung und Kritik schreibt er:

"Die Evolution liefert uns keine 'Haltegriffe' für unser Handeln, sie schreibt uns nicht vor, was wir tun oder unterlassen sollen. Aber die Evolutionstheorie zeigt uns, dass wir mit allen anderen Lebewesen auf der Erde verbunden sind, vor unserer eigenen Entwicklungsgeschichte nicht davonlaufen können und uns in dem Maße, in dem wir die natürlichen (und damit unsere eigenen) Lebensräume zerstören, den Boden unter unseren eigenen Füßen wegziehen.

Die Evolution hat uns nicht beauftragt, die anderen Kreaturen und uns selbst zu schützen. Wenn wir aber etwas für uns und andere Spezies tun wollen, dann wird das nur auf der Grundlage profunder Einsichten ins Evolutionsgeschehen gelingen.

Schließlich schützt uns die Evolutionstheorie vor der Diskriminierung eigener Artgenossen. Wem klar ist, dass alle Angehörigen unserer Spezies einen gemeinsamen Ursprung haben und gleichsam auf dem gleichen Stammbaumast sitzen, der wird sich von rassistischen Parolen nicht blenden lassen. Insgesamt also ist das Evolutionsdenken eine der tragenden Säulen eines säkularen, humanistischen Weltbildes."

Und Wuketits zieht dann folgendes Fazit: "Nehmen wir die Evolutionstheorie ernst, dann werden wir mit unseren jeweiligen moralischen Ansprüchen und der Suche nach Sinn allein gelassen. Intelligent Design ist ein modernes Märchen mit einer langen Vorgeschichte. Design im Sinne von (morphologischen) Bauplänen und Konstruktionen - dagegen hat ein Evolutionstheoretiker nichts einzuwenden. Die Annahme einer dabei agierenden Intelligenz aber muss aus heutiger evolutionstheoretischer Perspektive absurd erscheinen.

Der Mensch bleibt, so wie alle anderen Kreaturen, sozusagen auf sich selbst geworfen, sein Schicksal steht nirgendwo geschrieben, seine Existenz ist nicht a priori sinnhaft, er kann sich also (bei seiner Suche nach Sinn) auf nichts berufen. Das ist schlimm für den Träumer, aber eine Erleichterung für jeden, der aufgeklärt genug ist, all der Sinnstifter und selbsternannten Heilsbringer nicht zu bedürfen; und der sich, ausgerüstet mit dem Wissen um die eigene höchst profane Herkunft, imstande sieht, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und seinen eigenen (subjektiven) Lebenssinn zu suchen - selbst auf die Gefahr hin, dabei zu scheitern.

Leuten, die sich lieber von jenen beglücken lassen, die meinen, einen Sinn in der Evolution gefunden zu haben, sollten wir mit Respekt und Toleranz begegnen - aber nur, solange sie sich selbst tatsächlich glücklich wähnen und vor allem Andersdenkende in Ruhe lassen..."

Diese Analyse macht klar, warum es für konservative Gläubige von hohem Interesse ist, die Erkenntnisse über die Evolution durch das Gedankengebäude eines "Intelligent Design" zu ersetzen. Auf lange Sicht gesehen geht ein gewachsenes Wissen über die Evolution eben doch zu Lasten des Einflusses der etablierten Religonen.


Zum Weiterlesen:
Kutschera, Ulrich (Hg.):
Kreationismus in Deutschland. Fakten und Analysen.
Münster: Lit Verlag, 2007


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Disneyland der Kreationisten

Bibeltreue Fundamentalisten haben im Mai 2007 in der Nähe von Cincinnati ein "Creation Museum" eröffnet. Der Mix aus elektronischem Krippenspiel und Jurassic Park zeigt auf mehr als 5000 qm Ausstellungsfläche wie die Erde der Bibel zufolge in sechs Tagen geschaffen wurde und wie Mensch und Tier, Dinosaurier eingeschlossen, vor gut 6.000 Jahren friedlich miteinander im Garten Eden gelebt haben sollen. Anhand von Noahs Arche wird den Besuchern erklärt, warum einige Arten seit der Schöpfung - nach ihrer Rechnung am 23. Oktober 4004 vor Christus - ausgelöscht wurden.

Im Vorfeld der Eröffnung protestierten Lehrer, Dozenten und Forscher aus allen 50 US-Bundesstaaten mit ihren Unterschriften gegen "den Versuch, eine Lüge zu institutionalisieren". "Warum so viel Aufregung über unser kleines Museum?", zitieren US-Medien den Präsidenten der evangelikalen Betreibergruppe "Answers in Genesis", Ken Ham. Die Anhänger von Darwins Evolutionstheorie "haben überall in der Welt Museen".

Die Schweizer Aktiengesellschaft "Genesis-Land AG" plant derweil einen Genesis-Erlebnis-Park im Dreiländereck Deutschland-Östereich-Schweiz mit rund 30 Themenpavillons, Bahnen und Freizeitattraktionen. Man möchte "mit diesem Erlebnispark die Herzen unserer Kinder und Jugendlichen für Gott und Jesus Christus öffnen. Bei dieser Zielgruppe dürfte ein geplantes Fahrgeschäft besonders gut ankommen: die Wasserachterbahn mit Sintflutsimulator.


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Quelle:
diesseits 3. Quartal, Nr. 80/2007, S. 13-17
Herausgeber: Humanistischer Verband Deutschlands
Wallstraße 61-65, 10179 Berlin
Telefon: 030/613 904-41
E-Mail: diesseits@humanismus.de
Internet: http://www.humanismus.de

"diesseits" erscheint vierteljährlich am
1. März, 1. Juni, 1. Oktober und 1. Dezember.
Jahresabonnement: 12,- Euro (inklusive Porto und
Mehrwertsteuer), Einzelexemplar 4,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2007