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POLITIK/0004: Kein katholischer Knut (Ingolf Bossenz)


Kein katholischer Knut

Von Ingolf Bossenz


Über drei Wochen sind seit Benedikts Gnadenakt für den holocaustleugnerischen Pius-Bruder Richard Williamson verstrichen und noch immer wird die Medienlandschaft von den Spasmen der jüngsten Katho-Kolik des Papstes geschüttelt. Zwar ist längst alles gesagt respektive geschrieben, aber offenbar noch längst nicht von allen. Politik und Presse erwecken den Eindruck Fliehender, die möglichst schnell eine möglichst große Distanz zwischen sich und den peinlichen Pontifex bringen möchten.

Wenn die veröffentlichte Meinung in kollektive Empörung verfällt und eine protestantische Regierungschefin sich gar päpstlicher als der Papst geriert, muss es dafür tiefer liegende Gründe geben als den Abscheu über die Wiederaufnahme eines wirren Reaktionärs aus England in den römischen Glaubensverein. Schließlich haben sich Papst und Vatikan umgehend und eindeutig von jeder Form der Holocaustleugnung distanziert.

Haben wir es tatsächlich mit einer »Hetze gegen die katholische Kirche« zu tun, wie der Publizist Jürgen Elsässer in seinem Weblog meint? Wohl kaum. Zumal auch innerhalb der katholischen Kirche nicht nur kritische Gruppen gegen den Papst polemisierten, sondern sogar konservative Funktionsträger und Prälaten der Una Sancta mit einem postwendenden Verdikt Schadensbegrenzung betrieben.

Bezeichnend für die zahllosen Kommentare, die die deutsche Medienmaschinerie nach dem pontifikalen Fauxpas auswarf, ist ein nachgerade exorzistischer Tenor - so, als habe man plötzlich erschrocken die eigene Nähe zum Bösen erkannt. In der Tat: Die nach der Wahl Ratzingers publizierte »Bild«-Schlagzeile »Wir sind Papst« wurde weitgehend zur Blaupause deutscher Berichterstattung über das katholische Kirchenoberhaupt. Man schrieb und sendete sie sehnlichst herbei - die angebliche Wandlung des gnadenlosen Großinquisitors zum sensiblen Seelsorger, des »Panzerkardinals« zum Heiligen Vater für alle.

Von Events wie dem katholischen Weltjugendfestival in Köln oder der Wallfahrt nach Bayern wurden ohne jede kritische Distanz Fernsehbilder von Massenjubel und ausufernder Papst-Begeisterung verbreitet. Das Merchandising mit Benediktpuppen und -teddys machte die allgemein erzeugte Stimmung komplett, im Vatikan residiere nun eine Art katholischer Knut, der unselige Erinnerungen an den Furor teutonicus endgültig tilge und die Deutschen in aller Welt noch beliebter mache. Doch der Pakt der medialen Mehrheit in Deutschland mit dem Mann in Rom war ein sehr einseitiger. Denn Joseph Ratzinger dachte überhaupt nicht daran, sich sowie sein Streben und Handeln ausgerechnet zu einem Zeitpunkt zu ändern, an dem er endlich auf dem Platz saß, der ihm die Realisierung jahrzehntelanger Ambitionen ermöglichte. Daraus machte er nie ein Hehl, wie exemplarisch die Regensburger Rede mit ihren Ausfällen gegen den Islam zeigte. Man hätte Benedikt XVI. ja befragen können zu seinen Plänen hinsichtlich der reaktionären Pius-Brüder - so bei jenem Fernsehinterview in Castelgandolfo, nach dem ZDF-Programmdirektor Thomas Bellut beeindruckt konstatierte, der Papst sei »durch keine Frage zu erschüttern« gewesen. Wie denn auch angesichts der eingereichten und später artig aufgesagten Fragen, bar jeden Anflugs von Brisanz?

Der jahrelange Einsatz von Weichzeichnern konturierte den von Benedikt jetzt angezettelten Skandal umso schärfer. Zumal sich davon eine gesellschaftliche Gruppe besonders getroffen fühlte, die bereits mehrfach Entscheidungen des deutschen Papstes kritisiert hatte: die jüdische Gemeinschaft. Dies brachte, so die Botschaft des Medienechos von »Bild« bis ZDF, das Zweckbündnis Presse-Papst zum Platzen. Zumindest vorerst. Spätestens im nächsten Jahr, wenn der Stellvertreter Christi nach Deutschland kommt, werden sich Benedikt, Bellut und »Bild« wieder prächtig verstehen.


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Quelle:
Ingolf Bossenz, Februar 2009
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 16.02.2009


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2009