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POLITIK/0003: Vatikan präsentiert - Der Mann ohne Makel (Ingolf Bossenz)


Vatikan präsentiert: Der Mann ohne Makel

Propagandistische Offensive für Papst Pius XII.
im Berliner Schloss Charlottenburg

Von Ingolf Bossenz


Mit der Sonderausstellung, die zurzeit im Schloss Charlottenburg gezeigt wird, hat ein Streit, der vor fast 46 Jahren in Berlin seinen Ausgang nahm, die Stadt wieder erreicht.

Seit Rolf Hochhuths »Stellvertreter« am 20. Februar 1963 an der Westberliner Freien Volksbühne uraufgeführt wurde, wogt die Debatte um Pius XII. Dass sie sich in den letzten Jahren verstärkte, liegt vor allem an der geplanten Seligsprechung dieses Papstes, der durch sein Schweigen die Judenvernichtung begünstigt haben soll.

Inzwischen trugen Verteidiger und Gegner so ziemlich alles an Argumenten zusammen, was die historische Forschung und die vom Heiligen Stuhl bislang freigegebenen Dokumente erlauben. Da jede Seite auf die ihrer Position besonders zupass kommenden Zeugnisse verweist, wäre eine historisch-kritische Gesamtschau auf das Pontifikat des Italieners Eugenio Pacelli von 1939 bis 1958 sehr begrüßenswert. Die Ausstellung im Berliner Schloss Charlottenburg gibt vor, einem solchen Anspruch zu genügen. Sie ist das genaue Gegenteil. Erstaunlich ist das nicht. Schließlich entstand sie im Auftrag des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften auf ausdrücklichen Wunsch von Benedikt XVI., einem Bewunderer von Pius XII. Erstaunlich ist allerdings, dass eine öffentlich-rechtliche Institution wie die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg dieses Projekt ohne jede kritische Distanz beherbergt und unterstützt. Schließlich geht es in der Schau, die vor Berlin im Vatikan gezeigt wurde, nicht in erster Linie um die Präsentation pontifikaler Artefakte, sondern um politische Propaganda. Bild- und Texttafeln vermitteln dem Betrachter eine moralische Makellosigkeit des Pacelli-Papstes, die eher einem Heiligen-Lexikon angemessen ist.

Das betrifft auch und vor allem seine Zurückhaltung bei der Verurteilung des NS-Massenmordes an den europäischen Juden. Nicht nur vom Dramatiker Hochhuth, sondern von zahlreichen Historikern und Publizisten wurde und wird Pius XII. in dieser Hinsicht wegen seiner Passivität kritisiert. Geradezu sensationell aufgemacht ist wohl deshalb der Raum, in dem vom Band Auszüge aus der päpstlichen Weihnachtsbotschaft vom 24. Dezember 1942 zu hören sind, die man auch an der Wand nachlesen kann. Verwiesen wird darin auf die »Hunderttausenden, die persönlich schuldlos bisweilen nur um ihrer Volkszugehörigkeit oder Abstammung willen dem Tode geweiht oder fortschreitender Verelendung preisgegeben sind«.

Dass diese Botschaft den Pius-Verteidigern nach wie vor als Hauptbeweisstück für das angebliche unmissverständliche Eintreten des Papstes im Interesse der Juden präsentiert wird, spricht für sich. Nach Ansicht des britischen Pacelli-Biografen John Cornwell, Fellow am Jesus College in Oxford, hätte Hitler sich »keine gewundenere, harmlosere und bedeutungslosere Reaktion des Stellvertreters Christi auf das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte wünschen können«. Pacelli, so Cornwell, hatte die zum Untergang verurteilten Millionen auf »Hunderttausende« reduziert, den Begriff »Juden« vermieden und die Einschränkung »bisweilen« gemacht. Kein Wort zu den Tätern. Von einer der »entscheidenden Gestalten der Geschichte des 20. Jahrhunderts«, wie die Ausstellung in Berlin postuliert, hätte man eine klarere Sprache erwarten können. Bemerkenswert bei der Pro-Pacelli-Kampagne ist das Kaprizieren auf den Mann, der die Hauptschuld tragen soll an der angeblichen Verleumdung des Papstes. »Hochhuth gehört der Vergangenheit an.« Dieses in einem Rundfunkinterview von Walter Brandmüller, Präsident des Päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften, verkündete Verdikt ist offenbar ein zentrales Ziel der Vatikan-Offensive zu Pius XII., in die sich die aktuelle Ausstellung einfügt. Unlängst hatte der Berliner Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky im RBB-Hörfunk erklärt, der Erfolg des Hochhuth-Stücks verdanke sich vor allem dem »Kommunisten Erwin Piscator, der es für die Uraufführung an der Berliner Freien Volksbühne massenwirksam aufbereitete«. Diese sei ein »gefundenes Fressen« für die »traditionell antikatholische linksliberale Presse« gewesen. Der notorische Antikommunismus, dem Pius XII. zeitlebens anhing, kehrt so in der Apologetik seiner Person mit Vehemenz zurück.

Ungeachtet der künstlerischen Freiheiten, die sich Hochhuth erlaubte - es handelte sich um ein Theaterstück -, bleibt es sein Verdienst, die Debatte nicht nur um Pius XII. als Person, sondern um die katholische Kirche als Institution während der NS-Zeit angestoßen zu haben. Das verzeihen ihm deren Führer bis heute nicht.


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Quelle:
Ingolf Bossenz, Februar 2009
Der Schattenblick veröffentlicht diesen Artikel mit der freundlichen
Genehmigung des Autors.
Erstveröffentlicht in Neues Deutschland vom 03.02.2009


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2009