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VEGETARIERBUND/354: Vandana Shiva - Wir brauchen einen neuen Gemeinschaftsgeist (natürlich vegetarisch)


natürlich vegetarisch 02/10 - Frühling 2010
Das VEBU Magazin

Wir brauchen einen neuen Gemeinschaftsgeist

Guido Barth trifft Vandana Shiva


Dr. Vandana Shiva reist viel - in ihrer Heimat Indien, aber auch um die Welt. Sie führt erfolgreich Prozesse gegen Großkonzerne, die die Welt mit Samen- und Pflanzenpatenten kontrollieren wollen. Sie unterhält ein weltweites Netzwerk von außerordentlich einflussreichen Menschen und gilt als eine der wichtigsten Intellektuellen unserer Zeit. Wirklich zu Hause ist die promovierte Atomphysikerin auf einer kleinen Farm namens Navdanya. Dort hat die überzeugte Vegetarierin ein großes Archiv für Samen aller indischen Pflanzen aufgebaut. Der Name Navdanya steht auch für eine Organisation, die mittlerweile in vielen Landesteilen Indiens aktiv ist. 1993 ist Dr. Vandana Shiva mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden. Wer ihr im Gespräch gegenüber sitzt, spürt unmissverständlich, dass in der Welt der Gentechnikproduzenten nur Kraft, Mut, Ausdauer und die allerbesten Argumente weiterhelfen.


VEBU: Vandana, meine erste Frage mag dir ungewöhnlich erscheinen, aber du kennst dich auch in folge vieler Besuche in Deutschland recht gut aus. Hältst du Deutschland für ein demokratisches Land?

VANDANA SHIVA: Wenn ich mir die Absichten der gegenwärtigen Koalition anschaue, würde ich sagen, dass es eine Reihe von Entscheidungen gibt und geben wird, die im klassischen Sinne nicht demokratisch sind. Ich denke dabei an die schleichende Einführung von genmanipuliertem Getreide und von Genkartoffeln. Ich denke auch ganz aktuell an die geplanten Laufzeitverlängerungen mancher Atomkraftwerke. Das sind Dinge, die die Mehrheit der Bevölkerung nicht will - und das ist nicht wirklich demokratisch.

VEBU: Das ist aber kein rein deutsches Problem.

VANDANA SHIVA: Das ändert ja nichts an der Tatsache. Natürlich gibt es solche politischen Entscheidungen auch in anderen "demokratischen" Ländern und genau das ist das Problem. Deswegen ist es oft so schwierig, Massnahmen, von denen eigentlich jeder weiß, dass sie durchgeführt werden müssen, politisch durchzusetzen. Nur allzu oft scheitern wichtige Schritte an einer mächtigen Lobby, die eben den Status Quo ihrer Machtposition als unantastbar ansieht.

Das Ganze gehört für mich zu einer falschen Vorstellung von Freiheit. Das ist nämlich die amerikanische Vorstellung von Freiheit. Wenn sie jemals wirklich funktioniert hat, funktioniert sie heute definitiv nicht mehr. Wir brauchen, um das einzusehen, nur nach Afghanistan zu schauen. Oder wir nehmen andere zentralasiatische Länder oder den Irak. Es ist diese falsche Vorstellung von Freiheit, die daran schuld ist, dass wir dieses ganze Durcheinander, dieses Chaos in diesen Ländern haben. Sie ist schuld daran, dass wir diese ganzen Probleme mit dem Klima haben. Diese Vorstellung von Freiheit ist eine sehr anti-ökologische.

VEBU: Was sind die Ursachen dafür?

VANDANA SHIVA: Im Grunde gibt es dafür nur eine Ursache: die Gier der Unternehmen. Ohne Rücksicht auf Kulturen und Menschen werden auf aller Welt in einem erschreckenden Ausmaß Menschen ausgebeutet. Wie kann es sein, dass ein Unternehmen wie Monsanto nach Indien kommt und unseren traditionellsten und vielseitigsten Baum, den Neembaum, mit einem Patent belegen möchte? Jeder Mensch in Indien nutzt seit Jahrhunderten in irgendeiner Weise Produkte dieses Baumes - beim Kochen, beim Zähneputzen oder als Heilmittel. Nun war die Absicht von Monsanto, nach der Patenterteilung das alles zu kontrollieren und an allem zu verdienen. Wir haben natürlich massiv Widerstand geleistet und sind vor alle Instanzen gezogen. Zum Glück mit Erfolg. Solche Erfolge sind keine Ausnahmen. Man muss es einfach angehen und durchhalten.

VEBU: Gier, Profite, finanzstarke Lobbys - das sind auch Themen in der industriellen Tierproduktion.

VANDANA SHIVA: Ich bin immer fassungslos über das Ausmaß der Unkenntnis vieler Menschen und mir scheint oft eine Kultur des Verdrängens vorzuherrschen. Scheinbar akzeptieren viele Menschen, dass wir, wenn wir so weiter machen, wirklich den Planeten zerstören, als seien wir sowieso unfähig, etwas zu ändern. Wir rotten seit Jahrhunderten eine Art nach der anderen aus, wir zerstören die Vielfalt der Erde und wir foltern jedes Jahr Milliarden von Tieren zu Tode und am Ende werden wir uns selber vernichten.

VEBU: Mittlerweile setzt sich aber bei vielen Menschen die Erkenntnis durch, dass es so nicht weiter geht.

VANDANA SHIVA: Das mag sein. Dennoch ändern die Menschen nicht wirklich etwas - weder in ihrem Umfeld, noch bei sich selbst - außer es geht ohne jegliche Einbußen. Aber das reicht schon lange nicht mehr. Die schlichte Erkenntnis reicht nicht aus. Nehmen wir die Ernährung. Die industrielle Fleischproduktion und der Fleischkonsum sind verantwortlich für die anhaltende Verbreitung des Hungers auf dieser Welt. 50% der Getreideernten werden als Tierfutter verfüttert, 50% der weltweiten Schadstoff-Emissionen stammen aus dieser Industrie, darunter Kohlendioxid, aber auch das um ein Vielfaches schädlichere Methan. Die Tierindustrie hat einen enormen Flächenverbrauch. Wenn deutlich mehr Menschen zu einer pflanzlichen Ernährung wechseln würden, hätten wir die Qual der Tiere verringert. Wir würden außerdem riesige Fortschritte in der Bekämpfung des Hungers auf der Welt machen und große Fortschritte im Umweltschutz verzeichnen. Wir könnten Land an die zurückgeben, denen es irgendwann gestohlen wurde, und wir würden unser gesamtes Gesundheitssystem entlasten.

VEBU: Wenn die Erkenntnis allein schon nicht mehr reicht, was schlägst du vor?

VANDANA SHIVA: Wir müssen unbedingt weg von diesem rein profitorientierten Denken. Wir müssen wieder Werte wie Hilfe und Mitgefühl in den Mittelpunkt unseres Lebens stellen. Wir müssen also das Verhältnis ändern, mit dem wir miteinander umgehen. Geld darf nicht länger der gemeinsame Nenner sein. Wenn wir das schaffen, wird sich auch unser Gefühl für demokratisches Verhalten ändern, weil sich unser Blick für Gerechtigkeit schärfen wird. Aus einem solchen Gefühl heraus würden wir auch die Fähigkeit haben, die Erde zu schützen und zu retten. Gelingt uns in unserem Verhalten kein grundlegender Paradigmenwechsel, werden wir schlichtweg scheitern und die Menschheit, wie auch andere Arten und die Erde als Lebensraum werden verschwinden.

VEBU: Inwieweit ist denn ein Volk heutzutage noch in der Lage, eine Forderung der Mehrheit gegen eine politische Minderheit durchzusetzen - in einem demokratischen Land?

VANDANA SHIVA: Wir dürfen den gesunden Menschenverstand und den Glauben an die Kraft eines Volkes nicht unterschätzen. Denken wir an die Unabhängigkeit Indiens. Das war eine Forderung des Volkes und sie hat sich sogar gegen eine ganze Kolonialmacht durchgesetzt. Ich sage, es kann nicht sein, dass so etwas wie der Besitz von Samen auf einem Monopol basiert. Die Unternehmen wissen ganz genau, dass in Indien traditionell die Frauen für das Saatgut verantwortlich sind. Sie setzen also bei ihrer Gentechnik genau dort an, wo sie gleichzeitig auch der Rolle der Frau die Basis nehmen. Das sind alles Dinge, die erzählen wir den Regierungen immer wieder. Und ja, natürlich machen wir da auch Fortschritte, und ja, natürlich ist das mühsam und dauert manchmal lange. Jedoch werden wir mit jedem Erfolg stärker und wir werden von immer mehr Menschen auf der ganzen Welt unterstützt. Ich bin da ganz und gar nicht hoffnungslos.

VEBU: Wie kann ich mir eigentlich die Menschen vorstellen, die bei Unternehmen arbeiten und (mehr oder weniger) verantwortlich sind für das, was geschieht?

VANDANA SHIVA: Das ist interessant. Man denkt ja immer: Wer lässt sich dies und das einfallen? Aber wenn du mit diesen Leuten sprichst, sind sie alle liebende Eheleute und Eltern entzückender Kinder - Eltern, die sich oft sozial engagieren und die, sagen wir mal bei Monsanto, in der Kantine beste Bio-Lebensmittel essen. Das Problem ist, dass diese Menschen Geld für das bekommen, was sie machen. Die meisten schalten ihr Bewusstsein einfach ab, damit sie ihren Job erledigen können.

VEBU: Wie heißt es so schön: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing ..."

VANDANA SHIVA: Die Zeiten, in denen die reichen Privilegierten nehmen konnten, was sie wollten, sind endgültig vorbei. Wir brauchen einen neuen Gemeinschaftsgeist, denn alles andere verursacht nur noch mehr Gewalt. Die Ressourcen werden nun mal immer knapper.


LESETIPP: Vandana Shiva
Leben ohne Erdöl - Eine Wirtschaft von unten gegen die Krise von oben.
Rotpunktverlag, 19,50 Euro, ISBN 978-3-85869-405-8


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Quelle:
natürlich vegetarisch 02/10 - Frühling 2010, S. 6-8
61. Jahrgang
Vegetarierbund Deutschland e.V. (VEBU)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2010