Schattenblick →INFOPOOL →WELTANSCHAUUNG → VEGETARIER

VEGETARIERBUND/369: Interview mit dem Ultra-Distanz-Sportler Arnold Wiegand (natürlich vegetarisch)


natürlich vegetarisch 02/11 - Frühling 2011
Das VEBU Magazin

"Die Grenze verschiebt sich immer mehr"

Guido Barth trifft Arnold Wiegand


Arnold Wiegand ist Ultra-Distanz-Sportler. Das bedeutet: Wettkämpfe über 160 km Laufen, 30 km Schwimmen oder mehrfacher Triathlon-Ironman nacheinander. Wenn Wiegand nach solchen extremen Leistungen erzählt, dass er sich rohköstlich-vegan ernährt, begegnen ihm die Menschen meist mit einer Mischung aus Bewunderung und Kopfschütteln. "Es ist so, dass die Leistungen einfach nicht ignoriert werden können", sagt er und ist sich sicher, dass er, wenn er keinen Sport machen und nur von der Ernährung berichten würde, eine viel geringere Glaubwürdigkeit hätte.


GUIDO BARTH: Ein dreifacher Ironman, also eine Langstreckendistanz von über 43 Stunden und weitere Extrem-Leistungen - ist das auch eine Frage des Leidens?

ARNOLD WIEGAND: Nein, ich war bisher nicht so nah an der Grenze, wie manche Teilnehmer an Ironman-Wettkämpfen, die zwischendurch ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen mussten oder am Ziel eine Infusion brauchten. Wenn ich von Grenze spreche, meine ich die eigene extreme Leistungsfähigkeit unter der Voraussetzung eines entsprechend trainierten Körpers. Ich höre stets in mich hinein und frage mich: Was brauche ich mental, um so etwas durchzustehen oder vielleicht sogar noch zu übertreffen?

GUIDO BARTH: Was verstehst Du unter "mental"?

ARNOLD WIEGAND: Ich frage mich: Wie gut komme ich in einem solchen Wettkampf mit mir klar? Welche Gedanken kommen, wie gehe ich damit um, welche Gefühle entstehen und kann ich das alles schaffen? Wenn ich das alles unter Kontrolle habe, erreiche ich bei meinen Ausdauerleistungen einen Zustand, in dem mir die dafür nötige Energie zufließt. Sie ist da, ich spüre sie und wundere mich immer, wo sie herkommt. Beim Radfahren und Laufen in der Nacht habe ich keinen Sekundenschlaf gehabt, wie andere. Die haben sich dann hingelegt, sonst wird das zu gefährlich auf dem Rad. Ich habe nicht einmal daran gedacht, dass ich eigentlich müde sein müsste: Ich war es nicht - ich war voll in der Spur.

GUIDO BARTH: Du ernährst Dich von veganer Rohkost?

ARNOLD WIEGAND: Ja, ich esse kiloweise Obst, Gemüse und gekeimtes Getreide, Linsen, Erbsen, Kichererbsen, Mungobohnen, Mohn und Sesam.

GUIDO BARTH: Woraus besteht Deine Ernährung während eines Wettkampfes?

ARNOLD WIEGAND: Beim Schwimmen und Radfahren trinke ich in Wasser aufgelöstes Maronenpulver (Edelkastanie) mit Himalaya-Salz und Magnesium ergänzt, da Maronenpulver viele Kohlenhydrate enthält und sehr basisch wirkt. Nach Lust und Laune esse ich dann noch Rohkostmüsli aus gekeimtem Roggen und Mohn sowie Rosinen, Bananen, Maronenpulver und Mandeln zu Pulver zerkleinert. Das Ganze mit Wasser vermischt und etwas quellen lassen - fertig. Ich mache auch gern noch Apfel und Zitronensaft dazu, womit sich die Eisenaufnahme - besonders aus dem Mohn - deutlich verbessert. Beim Essen mache ich auch schon mal fünf Minuten Pause und setze mich hin.

GUIDO BARTH: Wie hältst Du es mit Süßem?

ARNOLD WIEGAND: Irgendwann kam ich an einen Punkt, da war ich das Süße total leid - ich brauchte etwas anderes. Da habe ich Brötchen mit veganer Pflanzenmargarine gegessen - richtig dick und fett bestrichen, mit Tomate, Gurke und Salz darauf. Das war so ein Heißhunger. Mittlerweile mache ich das anders und dörre mir Rohkost-Brote und -Cracker mit meinem Dörrgerät. Ich hab schon einiges ausprobiert; allerdings ist das für Wettkämpfe schwierig, weil die Sachen nicht so lange haltbar sind.

GUIDO BARTH: Nimmst Du Nahrungsergänzungsmittel?

ARNOLD WIEGAND: Das hängt von der Trainingsbelastung, dem Wettkampf und dem Wetter ab. Wenn ich beispielsweise 16 Stunden trainiere und es heiß ist, dann habe ich das Gefühl, dass ich Magnesium zu mir nehmen muss - dazu ganz wenig Kalzium - das ist dann auch wichtig. Kaltwasserschwimmen, aber auch Langstreckenschwimmen, zieht enorm viel Magnesium aus dem Körper. Das äußert sich in Krampfneigung. Ich schwimme ja auch im Winter im See - ohne Neopren-Anzug.

GUIDO BARTH: Wie "warm" ist das Wasser?

ARNOLD WIEGAND: Ab 3 °C aufwärts und da bin ich, je nachdem, so eine Viertelstunde drin. Ich hatte damals mit einem 300 Liter Regenfass auf der Terrasse angefangen, jetzt geht es aber immer raus in den See. Für mich ist das Herausforderung und Stärkung des Immunsystems zugleich.

GUIDO BARTH: Und, hilft es wirklich?

ARNOLD WIEGAND: Natürlich. Ich gehe dabei noch über das Zittern hinaus. Wenn dir kalt wird, dann zitterst du und wenn es noch kälter wird und die Unterkühlung noch weiter fortschreitet; dann hört das Zittern auf und die Haut fängt an sich zu röten. Wenn ich nach 15 Minuten aus dem Wasser steige, ist meine Haut ganz rot. Das ist für mich ein Zeichen für Unterkühlung, allerdings noch nicht in einem grenzwertigen Bereich. Ich passe da auch sehr genau auf, was mit mir passiert: Wie fühlt sich mein Körper an, wie ist mein Bauchgefühl, wie ist die Krampfneigung in den Muskeln, wie fühlen sich meine Hände an und wie sind meine Denkprozesse? Ich prüfe mich da permanent, denn dass meine Aktionen extrem sind, ist mir absolut bewusst.

GUIDO BARTH: Was passiert bei einem Triple-Ironman, bei dem Du gute 43 Stunden unterwegs bist?

ARNOLD WIEGAND: Nach 3,25 Stunden kam ich als Sechster aus dem Wasser, stieg auf das Rad und fuhr die Nacht durch - nach 24 Stunden habe ich mich für eine Stunde hingelegt. Das ist eine interessante Erfahrung, die ich bereits vorher schon gemacht hatte. Während eines 24-Stunden-Laufs hatte ich mich in der Nacht für eineinhalb Stunden hingelegt. Da hatte ich Bedenken: Werde ich überhaupt wieder hochkommen? Und was werden die Beine sagen? Aber das war überhaupt kein Thema. Ich konnte ganz normal weiterlaufen, es gab keinerlei Einschränkung. Genau das ist auch jetzt bei dem Wettkampf eingetreten: Keinerlei Probleme! Ich habe den Wecker dieses Mal für eine Stunde gestellt und noch bevor er geklingelt hat, war ich wieder wach. Ich hab den Wecker ausgestellt und bin sofort weitergefahren.

GUIDO BARTH: Ich halte fest: Erster Tag - 24 Stunden unterwegs plus eine Stunde Schlaf?

ARNOLD WIEGAND: Ja. Am nächsten Abend bin ich vom Rad gestiegen und musste mir überlegen: Laufe ich bis halb vier Uhr nachts weiter? Da war ich zunächst etwas unsicher: Brauche ich noch etwas Schlaf oder laufe ich weiter? Ich habe mich für das Laufen entschieden - ich wusste, dass ich dazu in der Lage bin und so habe ich es auch gemacht. Beim ersten Morgengrauen bin ich dann im Ziel angekommen.

GUIDO BARTH: Machst du dein Programm unter ärztlicher Begleitung?

ARNOLD WIEGAND: Nein, ich kenne keinen, der kompetent genug wäre, mir weiterzuhelfen. Ich suche auch nicht danach, da ich die Auffassung vertrete, dass ich als Intensivsportler fähig sein möchte und es auch bin, zu erkennen, was ich brauche und was es zu verbessern gilt. Gelegentlich lasse ich - zusammen mit einem Belastungs-EKG - eine gesundheitliche Überprüfung durchführen. Der Arzt schüttelt immer mit dem Kopf und sagt, dass er auch gern so viel Energie hätte. Alles im grünen Bereich!


Mehr über Arnold Wiegand unter: www.vegan-sport.de


Vegetarische und vegane Sportler/innen

Alain Sutter (Fußballer), Alan Jones (Weltrekord in Sit-ups), Al Beckles (Bodybuilder), Alexander Dargatz (Bodybuilder), Anastasia Ashley (Surferin), Andreas Cahling (Bodybuilder, Mr. Internation), Arnold Wiegand (Triathlon-Ironman), Beat Gähwiler (Schweizer Meister im Zehnkampf), Bertil Järlaker (Weltrekord im Marathon), Bille Jean King (Tennisspielerin),, Bill Peart (Bodybuilder, Mr. Universum), Bill Pickering (Schwimmer), Bill Walton (Basketballer), Boris Becker (Tennisspieler), Brendan Brazier (Triathlon-Ironman), Carl Lewis (Spitzen-Leichtathlet), Carol Gould (Marathonläuferin), Cheryl Marek (Radfahrer), Chris Campbell (Weltmeister im Wrestling), Clare Francis (Segeln), Cory Everson (Bodybuilderin, mehrfache Ms. Olympia), Dave Scott (mehrfacher Triathlon-Ironman), Dennis Rodman (Basketballer), Di Edwards (Läufer, Olympia Semifinalist), Donnie LaLonde (Boxweltmeister), Edwin Moses (Leichtathlet Olympiasieger), Emerich Rath (Schwergewichtweltmeister im Ringen), Estelle Gray (Radfahrerin), Fawn Porter (Klettern), Frogund Widmeyer (Meisterin im Rhythmischen Sport), Gary Player (Golfspieler), Glenn Cook (Triathlet), Hank Aaron (Baseballspieler), Ingra Marneke (deutsche Meisterin im Diskuswurf), Jack Maitland (Triathlet), Jane Wiezel (Marathonläuferin), Jim Kaat (Baseballspieler), Joanna Conway (Eisläuferin), Joe Namath (Footballspieler), Judy Leden (Weltmeisterin im Hängegleiten), Jutta Müller (mehrfache Weltcup-Siegerin im Windsurfen), Kathy Johnson (Olympia-Turnerin), Katie Fitzgibbon (Marathonläuferin), Killer Kowalski (Wrestler), Kirsty McDermott (Läuferin), Kirsty Wade (Läuferin), Kristopher Flannery (Bodybuilder), Lawrence Phillips (Footballspieler), Leroy Burrell (Leichtathlet, Olympiasieger), Les Brown (Läufer), Li Ning (mehrfache Gewinnerin der Turnweltcups), Lucy Stephens (Triathletin), Martina Navrátilová (Tennisspielerin) ...


*


Quelle:
natürlich vegetarisch 02/11 - Frühling 2011, S. 18
62. Jahrgang
Vegetarierbund Deutschland e.V. (VEBU)
Redaktionsadresse:
Blumenstr. 3, 30159 Hannover
Telefon: 0511/36 32 050, Fax: 0511/36 32 007
E-Mail: redaktion@vebu.de
Internet: www.vebu.de

natürlich vegetarisch erscheint viermal jährlich.
Das Einzelheft kostet 3,50 Euro.
Abonnement: jährlich 14 Euro, (Ausland 20 Euro).
Das Abo ist im Falle einer Mitgliedschaft enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2011