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VEGETARIERBUND/375: Interview mit der Bestsellerautorin Karen Duve (natürlich vegetarisch)


natürlich vegetarisch 03/11 - Sommer 2011
Das VEBU Magazin

INTERVIEW
"Ich habe beim Einkaufen einfach gar nicht nachgedacht"

Guido Barth trifft Karen Duve


Karen Duve ist Bestsellerautorin. Ihren sensationellen Durchbruch hatte sie 1999 mit dem "Regenroman". Nach "Taxi" ist aktuell ihr Buch "Anständig essen" außerordentlich nachgefragt. Darin beschreibt sie ihren ein Jahr währenden Selbstversuch, in dem sie verschiedene Lebensstile jeweils über zwei Monate ausprobiert hat: biologisch-organisch, vegetarisch, vegan, frutarisch. Seit Monaten wird die Autorin zu diesen brandaktuellen Themen in TV-Talkshows eingeladen. Anders als vor ihrem Selbstversuch lebt Karen Duve jetzt dauerhaft vegetarisch und, soweit möglich, vegan.


GUIDO BARTH: Ich habe dich in verschiedenen Medien schon häufiger sagen hören, dass du das mit dem Fleisch essen alles schon lange gewusst hast. Warum hat es aber so lange gedauert, bis du tatsächlich etwas geändert hast?

KAREN DUVE: Es ist ja nicht so, dass ich beim Einkaufen jedes Mal gedacht hätte: "Ah ja, für diese Wurst oder für diesen Braten ist ein Tier gequält worden und das finde ich gut und richtig - Hauptsache, ich kann schön billig Fleisch essen." Beim Einkaufen habe ich einfach gar nicht nachgedacht. Ich bin selber bestürzt, wie einfach es mir gefallen ist, das Offensichtliche zu ignorieren. Zum einen lag das wohl auch daran, dass mein Leben sehr gehetzt verlief und ich meinem Einkauf nicht besonders viel Beachtung schenkte. Zum anderen hätte Nachdenken natürlich auch bedeutet, dass ich nicht mehr das bekommen hätte, was ich haben wollte.
Übrigens habe ich zwar auch schon früher genug über Massentierhaltung gewusst, dass ich ausreichend Grund gehabt hätte, dieses Fleisch nicht mehr zu essen, aber das ganze Ausmaß der Tierquälerei war mir nicht bekannt. Es war ein Schock, als ich zum Beispiel von Schweinen erfuhr, die bei lebendigem Leib verbrüht wurden.

GUIDO BARTH: Welchen Einfluss hat dein soziales Umfeld auf dein Buchprojekt "Anständig essen" ausgeübt?

KAREN DUVE: In meinem Freundes- und Bekanntenkreis hat es keine Vegetarier/innen und schon gar keine Veganer/innen gegeben. Das ist wahrscheinlich auch ein Grund dafür, warum ich mich so lange ethisch unter aller Kanone ernährt habe. Wenn alle anderen sich genauso ernähren, hat man automatisch das Gefühl, dass das schon irgendwie in Ordnung geht. Der Impuls, die Angelegenheit neu zu überdenken, kam in dem Moment, als meine Freundin bei mir einzog. Sie war noch nicht einmal Vegetarierin, aber sie hat mich ständig damit konfrontiert, was ich da eigentlich tue, wenn ich Fleisch aus dem Supermarkt kaufe. Somit konnte ich natürlich nicht mehr verdrängen, was ich da eigentlich tat. Und dann konnte ich dieses Fleisch auch nicht mehr kaufen.

GUIDO BARTH: Du hast bei einer Podiumsdiskussion das Selbstbild angesprochen, mit dem man sich auseinandersetzen muss, wenn man seine Ernährung unter ethischen Gesichtspunkten kritisch betrachtet. Hat deines dabei gelitten?

KAREN DUVE: Ja. An einem bestimmten Punkt während meines Selbstversuchs musste ich mir eingestehen, dass Moral nicht eine so große Rolle in meinem Leben spielt, wie ich mir das bisher eingebildet hatte. Das war, als ich merkte, dass die Lebensweise, die am meisten meinem ethischen Wertesystem entsprach, die vegane war. Und dass ich trotzdem keine Lust hatte, vollständig vegan zu leben. Da war ich mit einer Erkenntnis über mich selbst konfrontiert, die ich eigentlich gar nicht so genau wissen wollte.

GUIDO BARTH: Seit ein paar Jahren wird in vielen Medien auf die Auswirkungen der Fleischproduktion auf die Klimaerwärmung und deren Folgen hingewiesen. Geht es dabei, zumindest im Ansatz, schon wieder an der konkreten Tierethik vorbei?

KAREN DUVE: Hauptsache, die Leute hören endlich auf, dieses fürchterliche Fleisch zu essen. Anscheinend verdrängen sie mit Leichtigkeit aber nicht nur, welche Folgen ihr Verhalten für die Tiere, die sie essen, hat, sondern auch, welche dramatischen Konsequenzen das demnächst für sie selber haben wird. Keiner von denen will ernsthaft, dass Tiere gequält werden, und sie sind auch nicht besonders leichtsinnig, was ihre eigene Zukunft betrifft, aber es macht eben einfach keinen Spaß, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wenn man darüber nachdenkt, heißt die Lösung "Verzicht". Und Verzicht ist als Lösungsmöglichkeit nun einmal äußerst unbeliebt.
Andererseits ist hier auch der Staat gefragt, der zumindest für mehr Aufklärung sorgen könnte.

GUIDO BARTH: Sind die Menschen für das, was geschieht, verantwortlich?

KAREN DUVE: Ja klar. Da ist aber auch viel Geld im Spiel und die "Pro"-Fleisch-Lobby scheint ungeheuer einflussreich zu sein.

GUIDO BARTH: Wenn du sagst, dass niemand bewusst die wahren Zustände tolerieren würde, schließt du dann nicht all die Menschen aus, die sich gedankenlos an der Fleischtheke bedienen?

KAREN DUVE: Nein, denn die handeln ja - wie du schon sagst - gedankenlos. Bewusst würden sie das nicht tun - jedenfalls nicht alle. Viele würden wohl sagen: "Schlachten ist okay", aber keiner von ihnen will, dass die Tiere vorher auch noch so gequält werden. Kein Mensch möchte, dass Hühner oder Schweine so gehalten werden, wie das bei uns gemacht wird.

GUIDO BARTH: Glaubst du, dass es im Grunde ganz einfach ist, dass die Menschen in diesen Angelegenheiten aufgeklärt werden?

KAREN DUVE: Einfach ist das überhaupt nicht. Schließlich will man den Leuten ja etwas erklären, was sie eigentlich lieber nicht hören möchten, weil sie nämlich nicht die allergeringste Lust haben, auf ihr Schnitzel zu verzichten. Ich bin dafür, jeden Tag im Fernsehen, am besten direkt vor der Tagesschau, einen Spot laufen zu lassen, in dem deutlich gemacht wird, wie Tiere in der Massentierhaltung gehalten werden, und der den Leuten nahe legt, weniger Fleisch - und wenn schon, dann wenigstens Fleisch aus anspruchsvoller Bio-Haltung - zu kaufen. Dass die Verbraucher/innen wissen, was los ist, das ist auch eine Aufgabe des Staates. Das fällt unter Fürsorgepflicht.

GUIDO BARTH: Und im Abspann des Spots steht dann, dieser Film wurde aus Mitteln des Bundesministeriums für Landwirtschaft, Umweltschutz und Verbraucherschutz produziert?

KAREN DUVE: Ja, genau. Es geht ja schließlich auch um Verbraucherschutz - darum, Verbraucher/innen davor zu schützen, durch ihren Einkauf zu Mittätern zu werden.

GUIDO BARTH: Das ist aber dasselbe Ministerium, das auch Subventionen an die Bauern gibt.

KAREN DUVE: Und vor allem an die Massentierhalter/innen! Deswegen läuft so ein Aufklärungsspot ja auch nicht. Stattdessen werden lieber Werbeanzeigen mit Botschaften à la "Fleisch ist ein Stück Lebenskraft" oder "Die Milch macht's" subventioniert. Das ganze Subventionierungsunwesen müsste überhaupt eingestellt werden oder die Gelder müssten zumindest völlig neu umverteilt werden. Eine bevorzugte Förderung der Bio-Landwirtschaft beispielsweise, wie das ja auch im Interesse der Verbraucher/innen ist.

GUIDO BARTH: Sollten Lebensmittel überhaupt subventioniert werden?

KAREN DUVE: Lebensmittel zu subventionieren war einmal eine soziale Idee, damit auch einfache Arbeiter genug zu essen einkaufen konnten. Nur: Heutzutage ist Unterernährung kein Thema mehr in Deutschland. Wir haben es mit einer verfettenden Bevölkerung zu tun, die selbst nach konservativsten Schätzungen etwa dreimal so viel Fleisch isst, wie es für die Menschen zuträglich wäre. Das heißt, wir subventionieren gerade den Selbstmord mit Messer und Gabel. Und so etwas gehört einfach nicht subventioniert.


Karen Duve
Anständig essen. Ein Selbstversuch
Galiani 2010, 335 Seiten, 19,95
ISBN 978-3-86971-028-0


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Quelle:
natürlich vegetarisch 03/11 - Sommer 2011, S. 9-10
62. Jahrgang
Vegetarierbund Deutschland e.V. (VEBU)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2011